: Explosionsrisiko gefährdet Ostsee-Röhre
Nachdem sich Polen mit anderen Argumenten gegen die Gaspipeline nicht durchsetzen konnte, soll diese nun durch ein Umweltgutachten verhindert werden. Die Studie belegt Gefahr für Natur – auch wegen der Altlasten aus zwei Weltkriegen
AUS WARSCHAU G. LESSER
Polen fährt nun schweres Kaliber gegen die Ostsee-Gaspipeline von Russland nach Deutschland auf. Bisher konnten weder wirtschaftspolitische noch historische Argumente die EU-Kommission oder das Europäische Parlament vom Schaden dieser Pipeline überzeugen. Nun heißt es: „Die Pipeline gefährdet das Ökosystem der Ostsee.“ Polens Politiker rechnen sich dadurch noch eine Chance aus, das umstrittene Projekt zu verhindern. Denn als Ostseeanrainerstaat muss Polens Stimme bei allen Ostseeprojekten gehört werden. Polens Regierung könnte die „Nordstream“-Studie negativ bewerten.
Schon Anfang Februar soll die Umweltschutzstudie dreier polnischer Meeresforschungsinstitute an die Bau- und Betreiberfirma der Ostseepipeline „Nordstream“ weitergeleitet werden. „Unser Einfluss ist gar nicht so gering“, sagt Umweltexperte Andrzej Tyszecki im pommerschen Bezirksverwaltungsamt in Danzig. „Es hat durchaus schon grenzüberschreitende Investitionen gegeben, die nach umweltpolitischen Bedenken abgeändert oder gar ganz aufgegeben wurden.“
In der Studie sprechen sich die Wissenschaftler gegen jedes Aufwühlen des Meeresbodens aus – gemeinsam mit Hochseefischern und Küstenanglern. Zwar seien Pipelines für den Transport brennbarer Gase und Öle prinzipiell sicherer als Hochseetanker, Tanklastwagen oder Züge, doch gelte dies nicht unbedingt für eine Pipeline durch die Ostsee. Schließlich lägen hier am Meeresgrund nicht nur zahlreiche Wracks aus zwei Weltkriegen, sondern auch bisher kaum erforschte Munitionsaltlasten: Seeminen, Fässer mit Giftgas und andere Kampfstoffe, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg versenkt wurden. Zwar werden seit 1996 jedes Jahr internationale Räumungsaktionen durchgeführt, doch ein Ende dieser Einsätze ist noch nicht in Sicht.
Polnische Meeresforscher sind überzeugt, dass ein weiträumiges Aufwühlen des Meeresbodens rund um die 1.300 km lange Gaspipeline nicht nur die Natur der Ostsee über Jahre hin schädigen würde, sondern auch ein Explosionsrisiko durch ausströmende Kampfgase mit sich brächte. Der Fischfang wäre in einem derartig verunreinigten und vergifteten Wasser für Monate oder sogar Jahre beeinträchtigt. Auch die Ostseeküsten und -strände würden in Mitleidenschaft gezogen.
Vorrangig geht es Polen aber nicht um den Umweltschutz. Verhindert werden soll die Pipeline vor allem deshalb, weil die polnische Regierung eine stärkere Abhängigkeit von Russland fürchtet. Zwei Drittel des Gasimports und 40 Prozent des polnischen Gasverbrauchs deckt der russische Gaskonzern Gazprom ab. Durch die 1999 fertig gestellte Jamal-Pipeline, die von Russland über Weißrussland und Polen nach Westeuropa führt, stieg Polen zu einem wichtigen Transitland auf.
Der Bau der Ostseepipeline würde diese Bedeutung Polens als Transitland und seine Einnahmen an Durchleitungsgebühren stark mindern. Sollte in Zukunft gar eine Doppelpipeline durch die Ostsee verlaufen, könnte Gazprom Polen in einem Konfliktfall den Hahn zudrehen, ohne dass der westeuropäische Markt darunter zu leiden hätte. Polen hätte dann kein Druckmittel mehr in der Hand und müsste sich einem eventuellen Preisdiktat Gazproms beugen.
Das deutsche Angebot, Polen über eine Stichleitung mit der Ostseepipeline zu verbinden, lehnt die polnische Regierung weiterhin ab. Daran änderte auch die gestrige Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin nichts, keine Einwände gegen einen „Arm nach Polen“ zu haben. Das Land will sich nicht an einem Projekt beteiligen, das sie als Ganzes ablehnt. Zum anderen sieht sie dadurch ihre eigenen Pläne in Gefahr, den Kreis der Gaslieferanten zu erweitern. Denn das Gas aus der Ostseepipeline käme ja wieder aus Russland – und der Lieferant wäre weiterhin Gazprom.
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