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Die feinen Unterschiede

Die neue Ausstellung des Deutschen Historischen Museums „Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945“ vergleicht die Ästhetik der totalitären Staaten mit der des New Deal in den USA

VON CHRISTIAN SEMLER

Stets waren die Künste von ihren Auftraggebern abhängig. Historisch neu ist das Ausmaß, mit dem im 20. Jahrhundert die künstlerische Produktion in den Dienst staatlich gelenkter Beeinflussung der „Massen“ gestellt wurde. Wir sprechen von Propaganda, unternommen mit avanciertesten technischen Mitteln. Bislang standen die totalitären Staaten der Dreißiger und Vierziger im Fokus der Analyse wie der Musealisierung, weil bei ihnen geradezu idealtypisch das Wirken staatlicher Propaganda studiert werden konnte. So auch in der bisherigen Ausstellungspraxis des Deutschen Historischen Museums (DHM), das die politische Ikonografie, also die politische Ausdeutung von Kunstwerken, zu seiner Spezialität gemacht hat. Mit der Ausstellung „Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930 bis 1945“ schlägt das DHM einen neuen Weg ein. Die Macher sprechen von kontrastierendem Vergleich. Gegenüber gestellt werden die Kunstpropaganda der faschistischen, nationalsozialistischen und stalinistischen Epoche einerseits und – das ist das Neue – die des New Deal in den USA.

Dem Museum ist es gelungen, eine große Masse von Material herbeizuschaffen. Hinsichtlich der nazistischen Kunstproduktion hat das DHM mittlerweile die größten Bestände. Der Bund hat den Berlinern einen Riesenbatzen Grafik und Gemälde aus vormaligem Reichsbesitz überlassen, der, ursprünglich von den Amerikanern beschlagnahmt, jahrzehntelang unbeachtet im Münchner Hauptzollamt schlummerte. Von Nutzen waren auch die Sammlungen von Propagandakunst, die der amerikanische Unternehmer Mitchell Wolfson zusammengetragen und in Miami stationiert hat. Aus Italien, das erst in den Neunzigern die faschistische Propagandakunst wiederentdeckt hat, flossen ebenso reichlich Bestände wie aus Russland. Hier hatten die Ausstellungsmacher Glück, vor kurzem machte Präsident Putin die künftige Ausleihe sowjetischer Werke fast unmöglich.

Der Vergleich wurde um vier thematische Hauptgruppen herum organisiert. Die erste Abteilung befasst sich mit dem Bild des Staatsführers in der Propaganda, die zweite behandelt die Situierung des Menschen in der Gesellschaft, die dritte geht um die Arbeit und den Aufbau, die vierte untersucht das Fortwirken der Vorkriegspropaganda im Zweiten Weltkrieg. Das Schlusskapitel würdigt das Schicksal der Nazi-Propagandakunst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Innerhalb der vier Abteilungen werden Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Architekturpläne ergänzt durch die Plakate und Filme. Natürlich hatten Malerei und bildende Künste samt ihrer Ausstellung eine wichtige Funktion in der Propaganda der Dreißiger. Dennoch ist klar, dass von der medialen Wirksamkeit her Radio, Kino und Plakatpropaganda im Mittelpunkt der Ausstellung hätten stehen müssen. Aber es sind gerade die Materialien aus dem Bereich der „überkommenen“ Künste, die eine kontrastierende Sichtweise ermöglichen. Denn in jeder der Abteilungen ist die Propagandaproduktion der vier ausgewählten Nationen gleichzeitig getrennt und optisch sinnfällig aufeinander bezogen.

Vergleichen, wir und die Ausstellungsmacher wissen es bis zum Überdruss, hat nichts zu tun mit Gleichsetzen. Schon die Differenz der italofaschistischen mit der nazistischen Propagandaproduktion ist mit den Händen zu greifen. Inhaltlich fehlt den Italienern der durchgängige Rassismus und das Herrenmenschentum der Deutschen. Formal bleibt die italienische Propagandakunst durch den geduldeten Futurismus der europäischen Moderne verbunden. Schlagend zeigt sich dies im Vergleich der ärmlich-konventionellen Nazi-Führerbilder mit Alessandro Bruschettis „Sintesi Fascista“, sicher ein großes Werk des italienischen Futurismus.

Seit Wolfgang Schievelbuschs vergleichender Arbeit ist Roosevelts New Deal Gegenstand der Propaganda-Analyse. In der Ausstellung des DHM wird herausgearbeitet, wie umfassend die amerikanischen Künstler in die staatlichen Programme der Dreißiger eingebunden waren. Sieben Prozent der staatlichen Fördergelder kamen den Künstlern zugute, das Federal Art Projekt beschäftigte über 5.000 Künstler. Zweifellos ging es hier um Propaganda im Staatsauftrag, und staatliche Stellen mischten sich, etwa bei den zahlreichen öffentlichen Wandgemälden, in künstlerische Fragen ein. Roosevelt selbst stand im Zentrum einer gelenkten, geradezu kultischen Verehrung. Ein oft schematisches Pathos der Arbeit gemahnte an die Kunstproduktion in den „totalitären“ Staaten. Dennoch ist es gerade der kritische Blick auf die gesellschaftlichen Zustände und eine ungekünstelte Sympathie mit dem Schicksal der kleinen Leute, die die Propagandakunst des New Deal grundsätzlich von der der diktatorischen Staaten unterscheidet. Sie orientiert sich am Einzelschicksal. Und wo Massen erscheinen, wird ihnen nicht nur zum Ausdruck verholfen, sondern zu ihrem Recht.

„Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945“. Bis zum 29. April. Zeughaus Unter den Linden

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