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Die Linke schafft sich ab

PREMIERE In Berlin wurde das „Manifest der Vielen“ vorgestellt – der neueste Beitrag in der Integrationsdebatte nach Sarrazin

Hier gibt es kein Gegengift zu Thilo Sarrazin, sondern nur die Kehrseite derselben Medaille

„Ich bin hier“, „Keine Kultur ist rein“ – das sind die Parolen eines Bilderloops, der im Hintergrund auf die Bühnenleinwand im Berliner Maxim-Gorki-Theater projeziert wird. Das Haus ist ausverkauft, der Blumenbar-Verlag stellt sein Buch „Manifest der Vielen“ vor. Die Herausgeberin und taz-Autorin Hilal Sezgin lehnt am Bühnenrand und unterhält sich mit der Schauspielerin Pegah Ferydoni, die wie 30 andere Autorinnen einen Text für das Buch beigesteuert hat.

Der zackige Moderator Ali Aslan eröffnet die Veranstaltung und erklärt den etwa 500 Besuchern, warum sie heute hier sind. Richtig, „wegen einem Bürokraten mit Schnurrbart“. Zwei Sätze weiter verspricht er, der Abend habe zum Ziel, die Debatte „auf eine sachlichere Ebene zu heben“. Sehr lustig. Die Versammelten mit Migrationshintergrund nehmen sich die Bühne so, wie man es aus den Talkformaten des Fernsehens kennt. Ein jeder ein Verkäufer. Der Verleger spricht von einem „schnellen, scharfen Buch“. Und schon ist man mittendrin im Leseprogramm.

Autor Deniz Utlu präsentiert seinen Beitrag. „Ich fahre durch Spandau. Von den Fassaden blättert hier und da Farbe – die Zementflecken: Umrisse unbekannter Länder“, liest er. Gar nicht so unbekannt ist auch sein Verfahren, das Lyrische mit elektronischen Experimentalklängen zu unterlegen. Schwer kunstvoll. Die Autorin Mely Kiyak hat danach eine bessere Sprachperformance. Sie verreimt das deutsche Grundgesetz. Doch auch Kiyak bleibt in ihren Aussagen ideologisch an der kurzen Leine eines neuen Dogmas, das man polemisch als Freiheitlich Migrantische Grundordnung (FMG) bezeichnen könnte. Die FMG ist das Echo auf den deutschen Deutschen Sarrazin. Es sprechen vor allem die, die sich selbstverständlich zum Muslim machen und ihre Herkunft ethnisieren (lassen). Das ist kein Gegengift zu Sarrazin, sondern die Kehrseite derselben Medaille.

Akteurinnen wie Pegah Ferydoni wissen dies. „Wir werden alle zu Migrationsbeauftragten und Islamexperten. Das war nie unsere Absicht!“, las sie im Gorki. Doch auch von ihr oder Autoren wie Imran Ayata gab es keinen offenen Widerspruch zu den neuen Konservativen auf den Podien der Comunity-Zunft. Zu den viel beschworenen Werten der Aufklärung gehört jedoch Dissenz, Streit und Gegenrede. Die Veranstaltung im Gorki kam zu sich selbst, als der Moderator auf der Bühne Kübra Gümüsay zur bevorstehenden Hochzeit gratulierte. Ist derlei künftig diskursrelevant? Hernach lieferte Jungautorin und taz-Kolumnistin Gümüsay ein Sprachgemetzel, in dem sie Antisemitismus und Antiislamismus auf eine Stufe stellte. „Deutschland erfindet sich neu“? Und schafft nebenbei die Linke ab. ANDREAS FANIZADEH

■ Hilal Sezgin (Hg.): „Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu“. Blumenbar Verlag, Berlin 2011, 232 Seiten, 12,90 Euro

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