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■ Bürger wehren sich gegen neue Straftäterklinik in HertenSchnöde Machtpolitik

Über 4.000 Menschen – darunter nur etwa 130 Frauen – befinden sich zur Zeit in forensischen Kliniken in Deutschland. Die meisten von ihnen haben schwere Gewalt- oder Sexualverbrechen begangen. In Strafverfahren wurde ihnen mangelnde Schuldfähigheit attestiert. Sie sind psychisch krank und ge-

fährlich zugleich. Für diese Patienten soll in der Revierstadt Herten auf Vorschlag des zuständigen Landschaftsverbandes eine neue Klinik mit 90 Plätzen

gebaut werden. Eine Bürgerbewegung läuft dagegen seit Wochen Sturm. Die Volksseele kocht. Dennoch werden heute CDU, SPD und Grüne im Landschaftsverband den Bau aller Voraussicht nach beschließen.

Tatsächlich führt an dem Neubau forensischer Kliniken kein Weg vorbei. Die bestehenden Einrichtungen sind – nicht nur in NRW – total überlastet. Für die Gesellschaft bedeuten mehr Plätze in der Forensik ein Mehr an Sicherheit. Am gefährlichsten ist der normale Strafvollzug ohne jede Therapie im Knast. Hier ist die Rückfallquote mit 50 Prozent am höchsten. Aber auch 20 Prozent der Forensikpatienten bleiben nach ihrer Entlassung nicht straffrei. Mit absoluter Sicherheit läßt sich das künftige Verhalten von Menschen nun einmal nicht voraussagen. Als ungefährlich eingestufte Freigänger aus Eickelborn (Nordrhein- Westfalen) ermordeten in den letzten sechs Jahren zwei Mädchen. Ein Patient aus der Klinik in Moringen (Niedersachsen) vergewaltigte kürzlich bei seinem ersten Freigang eine Bekannte.

Wer die in Herten grassierende Angst deshalb als bloße Panikmache mißversteht, erweist der Sache einen schlechten Dienst. An vorderster Stelle hat hier der Direktor des Landschaftsverbandes versagt. Seine Versicherung, „von der neuen Einrichtung geht keine zusätzliche Gefahr für die Hertener aus“, läßt sich von den Gegnern der Klinik leicht als unhaltbares Versprechen entlarven. Wer so ignorant vorgeht, schürt geradezu zusätzliches Mißtrauen, anstatt die Akzeptanz für eine notwendige Einrichtung zu fördern.

Das „Restrisiko“ zu leugnen hilft niemandem. Gefragt ist statt dessen eine offene Diskussion über den besten Weg, Risiken zu minimieren. Dieser Debatte muß sich auch die Düsseldorfer Landesregierung endlich vor Ort stellen. Gewiß, leicht wird das nicht. Doch an der Hertener Bevölkerung vorbei läßt sich die Klinik nicht realisieren. Eine schnöde Machtpolitik wird scheitern – und das ist gut so.

Walter Jakobs

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