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Dicke Muskeln und harte Stiernacken

taz-Serie: Sportstadt Berlin (Teil 3). Fitneßstudios gibt es bald an jeder Ecke. Gegen ein hübsches Sümmchen darf man dort seinen Body beim Heben formen. Daß Sport auch anstrengend ist, können Sportstudios nicht verhindern  ■ Von Christine Berger

Sport ist Mord. So steht es an einer Berliner Turnhalle geschrieben, und so manche Schüler würden Turnvater Jahn am liebsten zum Teufel schicken, damit er noch mal so richtig für seine lästige Erfindungen büßen müsse.

Wer etwas älter ist, bemerkt irgendwann, daß ohne regelmäßige Gymnastik die Knochen verkalken und langsam, aber sicher einrosten. Also geht man regelmäßig joggen oder schwimmen, spielt Fußball oder Handball, fährt öfter mit dem Fahrrad und ißt auf einmal eine Menge Salat. Im Idealfall geht das einen ganzen Sommer lang gut, im Winter aber liegen die neugeweckten Kräfte brach und verkümmern.

Unmut macht sich breit, der Winterspeck ebenfalls. Und dann passiert das, worauf etliche Geschäftsleute in der Stadt schon lange gewartet haben: Der moderne Mensch überwindet sich und ruft im nächstgelegenen Fitneßstudio um die Ecke an. Über 60 solcher privaten Sportstätten umwerben in Berlin eine bewegungshungrige Klientel. Bei Gebühren zwischen 80 und 200 Mark pro Monat sind die Studios zwar wesentlich teurer als die regulären Sportvereine, sie bieten dafür aber auch einen besseren Service.

Zumeist 12 Stunden am Tag (und auch in der Nacht) kann man Muskeln anspannen, soviel man mag. Sauna und Solarium sind in der Regel im Preis inbegriffen, und Kursangebote gibt es wie Sand am Meer, oftmals sogar mit Kinderbetreuung.

Wo das Geld bleibt, das die Fitneßmenschen an der Rezeption abgeben, ist überall in der Stadt offensichtlich. Mit Werbung in U-Bahnen, an Litfaßsäulen und in Stadtmagazinen buhlen die privaten Sportstätten um die Gunst der großstadtgeschädigten Körper. Ohne neue Wortschöpfungen und eine hochglänzende Verpackung kommt kaum eine Anzeige aus. Da ist von Erfolgs-Vitalitäts-Fitneß und Fettverbrennungskampagne die Rede, von Saunalandschaft und Business-Club.

Meist versteckt sich hinter den prätentiösen Ausdrücken nichts anderes als das Standardangebot eines Durchschnittsclubs: Aerobic-Kurse, Geräte für den Muskelaufbau, kleine Sauna und ein Rezeptionstresen, der im Prospekt als Sportbar mit netten Leuten in Gesellschaft und knappem Body daherkommt.

Daß sich Menschen im Fitneßstudio vor allem über ihren Körper definieren, liegt auf der Hand. Muskelbepackte Machos stolzieren gerne zwischen den Geräten herum, ein Handtuch um den Stiernacken geschlungen. Durchtrainierte Frauen dagegen lieben es, im hautengen Aerobic-Outfit einer Jane Fonda umherzutänzeln. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel.

Im gewöhnlichen Sportdress aus Sweatshirt und Gymnastikhose fühlt man sich plötzlich reichlich unmodern, und wer öfter im Studio turnt, wird irgendwann doch aussehen wie alle anderen: eingezwängt in Lurexhose und Stretchbody.

Wer seine erste Probestunde, die mal kostenlos, mal gegen Gebühren für sogenannte medizinische Checks zum Blutdruck oder der Pulsfrequenz absolviert, fragt sich, warum eigentlich niemand mit Bierbauch oder Hängehintern zu sehen ist. Offensichtliche Gewichtsprobleme haben die wenigsten in den Fitneßclubs, und das liegt wohl auch daran, daß in den Sportstudios kaum jemand über 35 ist. Um den nicht mehr ganz so frischen Kreaturen den Anblick von lauter jungen, hübscheren Hüpfern zu ersparen, gibt es mittlerweile Sportstudios, die nur über 30jährigen den Zugang erlauben.

Auch Frauen haben längst ihr Territorium abgesteckt und powern sich in eigens für sie geschaffenen Räumen aus. Um die vielen privaten Anlagen zu füllen, die es mittlerweile gerade für weibliche Wesen gibt, bietet eine renommierte Fitneßkette derzeit den Freundinnentarif an, der ähnlich wie beim Anwerben neuer Zeitungsabonnenten per Werbegeschenk funktioniert.

Vor zwei Jahren schließlich eröffnete am Adenauerplatz das erste Fitneßcenter nur für Männer. „Hier trainieren keine Bodybuilder, sondern Männer, die in Ruhe Sport machen wollen“, so der Geschäftsführer, und steuert damit gleich einem Klischee entgegen. „Da das mit den zahlreichen Frauenstudios so gut eingeschlagen hat in der Stadt, dachten wir, warum machen wir das nicht auch mal für Männer?“ Gesagt, getan.

Manche Berliner Vereine hat der Trend zum Schwitzen in privaten Clubs auf Trab gebracht. Längst bieten auch Großvereine wie der Post SV oder der Olympia Sportclub (OSC) Aerobic oder Modern Dance an. Beim OSC läuft das Kurssystem, das neben dem Training der Traditionssportarten eingerichtet wurde, sehr gut. Für jeden Kurs muß der Teilnehmer eine Gebühr pro Quartal zahlen, wird aber nicht automatisch Mitglied im Sportverein.

Im Gegensatz zum Fitneßstudio, wo am liebsten Jahresverträge abgeschlossen werden, ist im Verein der Ausstieg aus dem Kursbetrieb schneller möglich. Günstiger als im privaten Rahmen sind die Vereinskurse außerdem.

Bernd Hoffmann, Geschäftsführer des OSC, sieht denn auch im Angebot der Fitneßclubs weniger eine Konkurrenz als eine Belebung. „Der Sport hat dadurch wieder ein positiveres Image gewonnen“, ist seine Meinung. Je mehr Menschen sportlich aktiv werden, desto eher sei es auch für Vereine möglich, neue Zielgruppen für sich zu gewinnen.

Dem Mannschaftssport können die privaten Anbieter keine Konkurrenz machen. „Wer Handball spielt oder Leichtathletik machen will, muß in einen öffentlichen Sportverein“, sagt Hofmann mit Genugtuung. Das Sportangebot der Volkshochschulen und Krankenkassen ist ihm deshalb eher ein Dorn im Auge als die Fitneßstudios. „Die bieten die Kurse zu billig an“, ist er der Meinung. Kostet ein Kurs im Verein rund sechs Mark die Stunde, gibt es das gleiche Angebot bei der VHS schon für drei Mark.

„Der OSC kann da beim besten Willen nicht mithalten“, sagt der Geschäftsführer und spricht damit auch anderen Vereinen aus der Seele.

Sport in privaten Clubs gibt es schon seit 20 Jahren. Die Idee, sich von der spartanischen Turnhalle zu verabschieden und Sport mit Komfort zu verbinden, stammt aus den Vereinigten Staaten.

Noch heute ist das Angebot in den Studios stark von Aerobic, dem eigentlichen Urheber der Fitneßwelle, geprägt. Erstaunlich ist die Disziplin, der sich die Leute im Studio unterwerfen. Bei ohrenbetäubender Techno- oder Popmusik gibt der Trainer zackige Anweisungen, die Befehlen gleichkommen und die haargenau befolgt werden. Wer nicht mitkommt, wird zwar nicht bestraft, aber mit einem vielleicht abschätzigen Blick beäugt. Der Zwang zum Perfektionismus liegt in der Luft und übt Druck aus.

Wichtigstes Utensil in den Übungsräumen sind die Spiegelwände. Bei jeder Bewegung hat sich der Aerobic-Gymnast im Blick, was neben der Selbstkritik vor allem den Narzißmus fördert. Doch der Schein trügt: Konzentration und Ausdauer sind mitunter so sehr beansprucht, daß der Sport statt Entspannung eher Streß beschert. Individualität und Eigenleben bleiben nur in Form des Spiegelbilds, alles andere fällt den synchronen Bewegungen der Gruppe zum Opfer.

Weil Aerobic nicht jeden vom Hocker haut und manchem zu sehr an der Kondition knabbert, bieten Fitneßstudios mittlerweile auch Kurse an, die Entspannung bringen und vor allem unter medizinischen Gesichtspunkten gebucht werden.

Sogenannte Rückenschulen stehen derzeit hoch im Kurs. Was sich hinter dem pädagogischen Namen verbirgt, ist nichts anders als Gymnastik, die der Wirbelsäule zugute kommt. Dennoch versuchen einige ausgebildete Fitneßtrainer mehr daraus zu machen und kümmern sich richtig um die Wirbelsäule und die anderen krummen Knochen.

Auch autogenes Training und Tai-Chi finden in den Berliner Fitneßstudios mittlerweile ihr Publikum. Das allerdings wechselt beständig, und manche Kursleiterin dürfte an den ständig neuen Gesichtern, die jeden Tag hereinschneien oder auch wieder wegbleiben, schon verzweifelt sein.

„Richtig etwas entwickeln kann man in diesen Gruppen kaum“, meint Gymnastiklehrerin Sophie Becker. Weil das Angebot unverbindlich ist, bleibt auch die Gruppenstruktur lose und damit anonym. „Manche gehen wochenlang zu einem Kurs und haben keine Ahnung, wie die anderen Teilnehmer heißen, ganz davon zu schweigen, daß man ein Wort miteinander wechselt“, weiß Sabine Fugge.

Die Studentin war in diesem Winter zum erstenmal Besucherin eines Fitneßstudios. Jetzt, wo ihre Zehnerkarte abgelaufen ist, überlegt sie, ob sie noch mal hingeht. „Sport an der frischen Luft ist eigentlich viel schöner, vielleicht gehe ich lieber wieder joggen“, sagt sie. Gute Vorsätze, aber mitten im Winter schwer durchzuhalten.

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