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Die Terroristin und der Bleistift Von Wiglaf Droste

Als der Nazi Karl Carstens Mitte der 70er Jahre Heinrich Böll einen geistigen Vater und Wegbereiter des Terrorismus nannte, wollte ich auf der Stelle Schriftsteller werden: Keine Knarre brauchen, um die Welt herauszufordern, sondern nur einen Tisch, einen Stuhl, eine Schreibmaschine und einen großen Stapel weißes Papier, das war es doch. Das war mit vierzehn.

Zwei Jahre später wurde Hanns Martin Schleyer von der RAF erschossen. Ich spürte nicht die „klammheimliche Freude“, von der damals viel die Rede war – ich fand es super! Hanns Martin Schleyer, in dessen Gesichtszügen die faschistische Kontinuität der Bundesrepublik brutal zu Tage trat, war futschikato. Das war richtig, das war gut, und der deutsche Staat, der doch von Schleyer perfekt repräsentiert, ja verkörpert wurde, hatte nicht das geringste moralische Recht, einen Krieg gegen die RAF zu führen.

So fühlte ich damals, und obwohl ich heute in dieser Tat vor allem die Ermordung eines wehrlosen Gefangenen sehe, möchte ich nicht den Furor eines 16jährigen durch den Verstand eines 35jährigen denunzieren; die RAF damals als Vollstreckerin jugendlich rigoristischer Weltvorstellungen zu begrüßen war okay – die Sache heute noch so zu sehen, wäre debil.

Zwanzig Jahre nach dem, was unter ,Deutscher Herbst‘ subsummiert wird, verschimmeln noch reichlich RAF-Leute in den Knästen, und noch immer gibt es Sympathisanten, die ihre Märtyrer lieber im Bau sehen als draußen, weil man nur aus Gefangenen die eigene politische Identitäterä als autonomer Struppi herausquetschen kann. Was werden die für Augen machen, wenn in diesem Jahr die RAF-Frau Irmgard Möller über die Todesnacht von Stammheim auspackt und der Mythos von der Ermordung der RAF-Gefangenen durch den Staat platzt? Heulen werden sie, daß man ihnen Jesus, Maria und den Hl. Geist zugleich weggenommen hätte. Und dann hoffentlich, inklusive ihres Obermarktschreiers Tolmein, auf ewig den Schnabel halten.

Freigekommen aus dem Gefängnis ist vor kurzem Inge Viett, die nicht bei der RAF war, sondern bei der sympathischeren Bewegung 2. Juni. Im Knast hat sie ihre Autobiographie geschrieben. Ich habe das Buch in einer Nacht weggelesen und möchte es bei allen Merkwürdigkeiten, die es enthält, rundraus empfehlen, und sei es nur wegen dieser Passage: „Mit vierzehn Jahren habe ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Liebe gemacht und war ganz durcheinandergeraten.“ Ich bin nicht dabeigewesen, aber daß dieser Satz schön und wahr ist, kann ich bezeugen.

Einmal habe ich Post von Frau Viett bekommen: Als der Sozialdemokrat Gysi Anfang 1996 wieder einmal mit der Leier anfing, sein PDS-Saftladen sei von Verbot bedroht, bat ich Innenminister Kanther in der Jungen Welt, Gysi seinen Herzenswunsch doch zu erfüllen, damit das Gejengel ein Ende habe. Daraufhin schrieb Inge Viett aus dem Gefängnis einen Leserbrief, in dem sie mich einen „terroristischen Bleistift“ nannte. Seit diesem Urteil aus berufenem Mund weiß ich, daß sich mein Berufswunsch erfüllt hat. Denn vom Terrorismus mit menschlichem Antlitz versteht Frau Viett etwas. Aber lesen Sie selbst: Inge Viett, „Nie war ich furchtloser“, verlegt bei Nautilus.

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