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Tunnel der Realität

Eine Kunst-Alp(en)-Landschaft: Das Museum Baviera aus Zürich im Haus am Waldsee  ■ Von Michael Nungesser

Das Haus am Waldsee ist ein offenbar auch international geschätzter Ausstellungsort. Kaum ist die Zehlendorfer Kunstvilla renoviert und runderneuert, hat der in Zürich lebende Sammler, Galerist, Künstler und Autor Silvio R. Baviera sein eigenes Museum ins berlinische Milieu transferiert. Baviera ist vor allem ein leidenschaftlicher Sammler mit didaktischem Anspruch, aber ohne hoch erhobenem Zeigefinger: anarchisch, verspielt und monoman; ein Regisseur seines privaten Bilderlabyrinths.

Baviera stellt den Sammlertypus des lustvollen Überzeugungstäters dar, der Kunst nicht um des Renommees und der Wertschöpfung willen kauft, sondern um mit Künstlern in Dialog zu treten, sie zu entdecken, zu unterstützen und zu fördern, um Kulturarbeit vor Ort zu leisten und die Künste miteinander zu verknüpfen – auch um politisch Einfluß zu nehmen. Baviera sammelt nicht, was ihm gefällt, sondern was ihn anspricht, beunruhigt, nachdenklich macht, nicht mehr losläßt; er sammelt Werkblöcke und will Entwicklungen deutlich machen. In der jetzigen Ausstellung, die zuvor im Helmhaus in Zürich zu sehen war, sind rund 350 Werke von sage und schreibe 120 KünstlerInnen zusammengekommen.

Als roter Faden durchzieht das Thema Zweierbeziehung die Ausstellung – darum gibt es auch eine Abteilung mit Gemeinschaftsarbeiten. Abstraktes bleibt randständig, Neue Figuration bildet den größten gemeinsamen Nenner, der ins „unerschöpfliche Beziehungsnetz“ des Menschen sich verstricken läßt. Voraussetzung für die Aufnahme in die Sammlung sind die persönlichen Kontakte zu den meist malenden Zeitgenossen (Skulpturen sind im Haus am Waldsee die Ausnahme, in Bavieras Züricher Museum aber durchaus breit vertreten). Mit Provinzialität hat dies nichts zu tun, denn die Schweiz ist ein multikulturelles Land par excellence. In Bavieras Museum bilden (West-)Deutsche, Schweizer und Österreicher gleichsam den inneren Zirkel, um den sich Italiener, US-Amerikaner, Briten und Tschechen scharen – nicht wenige von ihnen in der Schweiz ansässig.

Zwölf Räume in zwei Stockwerken samt Durchgängen und Treppen gilt es abzuwandern: eine Kunst-Alp(en)-Landschaft. Von Bildern überwuchert erscheinen die Wände, so wie sie auch im eigenen Haus des Sammlers selbst im hintersten Winkel noch Zuflucht finden. Befreit von Galareihung und Kantenflucht sind sie in Petersburger Hängung mehrreihig über- und nebeneinander gehängt, verleihen jedem Raum eine spezielle Atmosphäre, in der Witz und Nonsens, Verzweifeltes und Anrührendes, Sarkastisches und Unheimliches wetterleuchten. Erklärende Beschilderung fehlt – die BetrachterInnen müssen sich anhand ausgelegter Listen orientieren. Es kann einem leicht schwindelig werden bei so viel Kunstpracht und Kunstmacht. Passend dazu leuchtet eine rote Neonschrift im letzten Ausstellungsraum: „Schwindel“. Ja, wirklich.

In den ersten Räumen stellt sich der Künstler-Autor Silvio Baviera selbst vor: Als Mann des Wortes bringt er sie in farbigem Siebdruck auf die Wand, seriell, proverbal, spielend und spiegelnd, läßt aber auch „DU“ und „ICH“ in eisernen und hölzernen Lettern im Raum aufeinandertreffen. Im anschließenden großen Gartensaal hängen Gemeinschaftswerke, die aus dem Geist der surrealistischen „cadavre exquis“ geboren sind: C.L. Attersee, Günter Brus, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, Ina Barfuss und Thomas Wachweger (einmal auch mit A.R. Penck); von Peter Fischli und David Weiss bis Martin Kippenberger und Albert Oehlen. Aus der sich anschließenden Fülle der Einzelarbeiten in unterschiedlichsten Techniken und Maßen ragen Bilder von Martin Disler, Kurt Kleinert, John Armleder, Roberto Brocco und der Bavieras heraus, denn auch Silvios Brüder Michael, Peter und Vicenzo sind bildende Künstler.

Im oberen Stockwerk folgen sechs weitere, stärker separierte Räume: zuerst wieder geballte Präsenz der Schweizer, von der Gruselerotik eines H.R. Giger bis zu Schang Hutters verhuschten Veitstänzen. Eine kleine Hommage erhält Friedrich Kuhn, ein Künstler aus der Art-brut-Tradition. Die italienische Transavanguardia in ihrer deutschen Spielart wird in Werken von Dieter Glasmacher, Thomas Bunk, Werner Büttner oder Michael Buthe vorgeführt, Barfuss und Wachweger sind ausgiebig vertreten, flankiert von den intrapsychischen Phantastereien der Wiener. Dann folgen umfangreiche graphische Mappenwerke, um den Kunstalpinisten schließlich mit ausgewählten skulpturalen Arbeiten zu entlassen.

Das Haus am Waldsee führt mit dieser stimulierenden Schau vor Augen, wie sehr die Kunstgeschichte von dem Einsatz und Gespür, der Liebe und der Risikofreude sammelnder Kunstfreunde mitgeschrieben wird. Sie setzt damit auch eine eigene Tradition fort, zeigte sie doch vor zehn Jahren die Berliner Sammlung des kürzlich verstorbenen Hermann Stober. Und als Gastgeber eines Schweizer Sammlers und alternativen Museumschefs verweist sie mit ihrer jetzigen „Durchtunnelung der Realität“ (nach einem Text von Baviera) auf ihren Programmschwerpunkt, europäischen Regionen ein Forum zu geben.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf, bis 18. Mai, Di.–So. 10–18 Uhr, Katalog 100 DM (!). Während der Ausstellung Sonderveranstaltungen wie Konzerte und Lesungen

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