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Ausstellungsplakat zu „heiß“ für die BVG

taz-Serie: 100 Jahre Schwulenbewegung (Teil II): In der morgen beginnenden Ausstellung „Goodbye to Berlin?“ in der Akademie der Künste ist es vom Mittelalter bis zur Jetztzeit nur ein Katzensprung  ■ Von Jens Rübsam

Albert Eckert diktiert der französischen Journalistin in den Notizblock: „Es hat weltweit noch nie eine so große Aufarbeitung der Schwulenbewegung gegeben.“ Auch nicht in den USA? fragt die Dame. Auch nicht in den USA! sagt Albert Eckert. „Dort wurde immer nur die neuere Zeit aufbereitet.“ Die Journalistin will noch wissen, wie die Ausstellung „Goodbye to Berlin?“ finanziert wird und ob sich Parteien engagiert haben. „Die Deutsche Klassenlotterie hat für Ausstellung, Katalog und Rahmenprogramm 1,95 Millionen Mark gegeben“, formuliert Pressechef Eckert druckreif. Und fügt süffisant hinzu: „Wir sind begeistert.“ Und wie ist das mit den Parteien? „Na ja“, schmunzelt Eckert, „CDU und SPD sitzen in der Lottostiftung.“

Die einzige, die größte, die bewegendste – an Superlativen fehlt es dieser Tage nicht, wenn von der Ausstellung „Goodbye to Berlin?“ die Rede ist. Morgen wird sie eröffnet in der Akademie der Künste, wahrscheinlich von deren Präsidenten, Prof. Walter Jens, selbst. „Wenn es sein Gesundheitszustand zuläßt“, bemerkt Eckert.

Vom mittelalterlichen Zürich, wo 1483 ein homosexuelles Freundespaar verbrannt wurde, bis ins kaiserliche Berlin, wo 1897 der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld sein „Wissenschaftlich- humanitäres Komitee“ gegründet hat, ist es nur ein Katzensprung. Nicht weiter ist es vom Deutschland Anfang der 20er Jahre und Richard Oswalds aufsehenerregenden Schwulenmelodram „Anders als die Anderen“ bis ins Nazi- Deutschland und dem Schutzhaftbefehl gegen Hans Retzlaff, ausgestellt von der Geheimen Staatspolizei Berlin, weil, so die Begründung, Retzlaff sich „als unverbesserlicher Homosexueller in verwerflicher Absicht einem auf Urlaub weilenden Marineangehörigen genähert hat“. Zwischen der DDR in den 50er Jahren und dem Brief von Doktor Rudolf Klimmer aus Dresden, der sich bei seinem Präsidenten, Wilhelm Pieck, beschwert, daß noch immer das „Schandgesetz aus 1851 und 1872 aufrechterhalten und angewendet“ wird (gemeint ist der Paragraph 175) und dem aufschreienden New York Ende der 60er Jahre – 1969 haben sich Schwule und Lesben nach einer Razzia im „Stonwall Inn“ in der Christopher Street mit der Polizei eine Straßenschlacht geliefert – liegen nur ein paar Meter. Irgendwann ist man in Skandinavien und bei warmen Hochzeitsbildern, in der DDR der 80er Jahre und einem Plakat des Leipziger Arbeitskreises Homosexualität, auf dem in Handschrift zu einer Veranstaltung zum sozialistischen Tabuthema geladen wird – und dann ist man im Heute. Bei Comics von Ralf König, einem Stern-Artikel über schwule Manager und in einem dichten Bilderwald, der das Aids-Zeitalter dokumentiert.

1.400 Dokumente, in drei Hallen chronologisch aneinandergereiht, zeugen von 100 Jahren Schwulenbewegung. Die Zeitepochen werden durch Farben deutlich – hoffnungsvoll gelb sind die Wände mit den Exponaten aus den zwanziger Jahren, düster und beklemmend die Wände, die all das zeigen, was mit der Nazi-Diktatur zu tun hat. Bunt sind die Aufbruchjahre nach dem Krieg, und die DDR-Zeit ist grau. Eine Orientierungshilfe will Ausstellungsarchitekt Reiner Lendler mit den unterschiedlichen Farben den Besuchern geben. Nicht allein damit, nein, auch durch die schräge Wandstellung, die „Zeitschichtung in Raumschichtung“ umsetzt.

Auch Reiner Lendler benutzt einen Superlativ. Seine größte Herausforderung nennt er die Ausstellung „Goodbye to Berlin?“. Vor allem deswegen, weil es schwierig gewesen sei, aus dem Wust an Material ein Konzept zu entwickeln und letztlich viele kleine Puzzelsteine zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Reiner Lendler, dem Hauptorganisator Andreas Sternweiler und den anderen Mitarbeitern vom Schwulen Museum ist es geglückt.

Monika Hingst, die Frau für Leihverträge, Versicherungen und Katalog, steht vor einem 2,70 Meter mal 3,70 Meter großen Gemälde – und verwendet auch einen Superlativ. „Das ist unser teuerstes Stück.“ Eineinhalb Millionen Mark ist das 1968 von David Hockney gemalte Bild heute wert. Es zeigt den englischen Schriftsteller Christopher Isherwood (1904 bis 1986) und seinen Freund, den Maler Don Bachardy, angekommen auf einem Sofa in einer heilen schwulen Welt.

Isherwood. 1930 war er nach Berlin gekommen, weil das Leben hier so frei war und weil die Boys so blond, so schön und so verfügbar waren. Freilich, es wurde ein kurzer Aufenthalt, nicht mehr als ein paar Monate, aber es war ein intensives Intermezzo im rauschenden Berlin. Als die Nazis kamen, ging Isherwood. Erst auf Irrfahrt, um seinem damaligen deutschen Freund eine andere Staatsbürgerschaft zu verschaffen – und dann nach Amerika.

1939 erschien Isherwoods autobiographischer Roman „Goodbye to Berlin“. Er beschreibt, wie das schwule und freizügige Leben im Berlin der 30er durch die Nazis ein jähes Ende fand. Wie die Szene auseinanderbrach, wie es dahin war mit der gelebten Liberalität. Nach Isherwoods Buch ist die Ausstellung benannt worden – nur ein Fragezeichen wurde dahintergesetzt. Warum? Vielleicht als Ausdruck dafür, daß Deutschland lange, zu lange gebraucht hat, die Hinterlassenschaften der brutalen Schwulenpolitik der Nazis zu überwinden. Politische Impulse kamen fortan aus Amerika, rechtliche beispielsweise aus Skandinavien. Noch heute tut man sich mancherorts schwer, alle Facetten der Homosexualität zu akzeptieren. Die BVG weigerte sich, das Plakat zur Ausstellung aushängen zu lassen. Der Grund war kleinlich genug: Ein erotisches Bild des amerikanischen Graffiti-Künstlers Keith Haring, das auf dem Plakat zu sehen war. Ein Strichmännchen mit einem langen Schwanz, der „heißer“ ist als die erlaubten 90 Grad; zu anstößig für U-Bahn-Fahrer befand die BVG. Dabei hatte sich Wolfgang Theis, einer der Organisatoren, gerade für dieses Bild erwärmen können. Es ist schrill, eindeutig und, na klar, es provoziert. In der größten Ausstellungshalle hängt es an prominenter Stelle.

Auch das Programmheft sorgte kurzzeitig für Aufregung. Ein knackiger Arsch prangt auf der Titelseite – nicht jedermanns Geschmack. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Das Programm war ja gedruckt.

Die französische Journalistin hat noch eine Frage. Wie das sei mit der Studie des Soziologen Michael Bochow, will sie von Pressechef Eckert wissen. Darin werde doch belegt, daß sich heute noch 11 Prozent der ostdeutschen und 13 Prozent der westdeutschen Schwulen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert fühlen, daß sie beleidigt und angepöbelt werden. „Stimmt“, sagt Albert Eckert, „Gewalt gegen Schwule gibt es immer noch.“ Aber, und er nennt das Beispiel Schwule und Polizei, es habe sich einiges getan. Waren früher Polizisten und Schwule Feinde, gehört heute, wenigstens in Berlin, die Aufklärung über homosexuelle Lebensweisen zur obligatorischen Ausbildung von Polizistenschülern. Dann verweist Albert Eckert auf ein Novum im Programm. Erstmals werde es in einem deutschen Polizeipräsidium eine Ausstellung zum Thema „Polizei und Homosexualität“ geben. Eröffnet wird sie am 5. Juni in Berlin, im Polizeipräsidium am „Platz der Luftbrücke“.

„Goodbye to Berlin?“: bis 17. August in der Akademie der Künste (Tiergarten). Täglich außer montags von 12 bis 20 Uhr, auch am Pfingstmontag. Eintritt: 8, ermäßigt 4 Mark

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