: „Jetzt habe ich die Macht“
Erst nehmen wir die Subkultur, dann das Big Business: Courtney Love, Königin der Schlampen, haut der Welt ihr neues Image um die Ohren. Clean, aber immer noch Rock 'n' Roll, Hollywood, aber sehr leicht entzündbar: „Ich zeige den Frauen, wie elegant es ist, chaotisch zu sein!“
taz: Tragen Sie Ihr berühmtes „Teenage Whore“-Kleidchen manchmal noch?
Courtney Love: Das hängt ganz davon ab, in welcher Stimmung ich gerade bin. Dann durchwühle ich meinen Kleiderschrank und schaue mir den alten Scheiß an, den ich wohl nie wieder tragen werde. Ich glaube auch nicht, daß Madonna in ihrem Kleiderschrank nach ihrem alten Latexbustier sucht, das sie etwas vollbusiger macht, und dann sagt: „Klasse, ich ziehe jetzt diesen Fummel an und rocke mal wieder richtig los!“
Das Cover von „My Body The Hand Grenade“ zeigt das Teil bereits als Museumsstück. Gehört da das Riot-Grrrl-Image hin?
Ich habe das Ganze eigentlich mehr als Unterrock getragen, und als solcher ist es halt nie sonderlich populär gewesen.
„My Body The Hand Grenade“ ist eine Art Rückblick auf die frühe Courtney. Was hat sich geändert?
Zunächst einmal habe ich mich in letzter Zeit intensiv mit Brian Wilson und Fleetwood Mac, den Beatles, Jane's Addiction und der frühen Soundgarden-Ära beschäftigt, die sehr von Led Zeppelin beeinflußt ist. Du mußt wissen, daß ich bislang auch nicht richtig spielen konnte. Ich habe erkannt, daß ich zwar in der Lage bin, großartige Texte, aber keine entsprechenden Melodien zu verfassen. Hör dir zum Beispiel ein Stück wie „Turpentine“ an. Darin finden sich zwei Parts, die ich heute gerne noch einmal verwenden würde. Ich würde sie isolieren, neu überarbeiten und mit einer besseren Brücke verbinden. Aber die wirklich bösartigen Stücke von früher liebe ich noch immer. Die neuen Stücke sind mehr poppig und relaxed.
Ist es das, was wir von der nächsten regulären CD „Celebrity Skin“ erwarten dürfen: poppige und relaxte Stücke?
Sie sind jedenfalls sehr straff strukturiert. Jede einzelne Note ist sorgfältig in ihren Kontext eingebunden und jedes bißchen Potential bis ins letzte ausgereizt. Von daher sind es die Kompositionen eines echten Songwriters – sie sind perfekt ausgearbeitet und regelrechter Zucker für die Ohren. Natürlich gibt es auch einige Rocksongs, die wirklich laut, und einige, die wirklich krank sind. Es gibt New-Wave-Stücke, einige ganz harte und einige Fleetwood-Mac- artige sowie einige softe Gothic- Songs in typisch kalifornischer Art. Aber in den meisten Fällen basieren die Songs eben auf einer Menge neuen Wissens und einem langwierigen Lernen. Ich habe drei Jahre gebraucht, um dieses Album zu schreiben. Und die meiste Zeit habe ich mit Komponieren verbracht. Ich orientierte mich an den Grundregeln populärer amerikanischer Musik und möchte auch als gute Komponistin anerkannt werden.
Würden Sie die frühen Sachen heute anders machen?
Du mußt akzeptieren, daß du es genauso getan hast und nicht anders. Außerdem bin ich heute eh viel besser als die meisten Jungs. Du mußt wissen, daß ich diesen Prozeß des Erwachsenwerdens ganz öffentlich durchlaufen habe – vor den Augen aller. Insofern hoffe ich auch, daß die Leute mein nächstes Album aus den richtigen Gründen mögen werden: Es ist komisch, inspiriert, sinister, chaotisch und so aufrichtig und ehrlich, wie eine Person nur sein kann.
Warum ein Hardcore-Titel wie „Mein Körper, die Handgranate“?
Irgendwann habe ich diesen Satz auf ein Blatt Papier geschrieben. Zu dieser Zeit habe ich eine Menge Hollywood-Scheiß erlebt. Stell dir vor, auf einmal kümmert es die Leute, wie ich aussehe – das ist mir noch nie passiert! Und das war ihnen wirklich wichtig. Dasselbe mit der Filmindustrie. So etwas regt mich einfach auf. Denn die Wahrheit ist doch: Ich kann machen, was ich will, ich bin immer nur ein Punk. Und das pißt mich einfach an! Das war auch der Aufhänger für diesen Titel – er summiert all diese Wut, vor allem aber das Gefühl, daß ich irgendwann explodieren werde. Irgendwann habe ich eine Handgranate in meinem Kopf gesehen. Ich dachte an einen menschlichen Körper und was mit ihm passiert, wenn du die Sicherung entfernst.
Hören Sie auch elektronische Musik?
Ich verfolge meinen eigenen Weg. Natürlich bin ich daran interessiert, aber eben nur bis zu dem Punkt, an dem ich mich der Technik unterordnen müßte. Es fasziniert mich, wenn ich Garbage oder auch die Sneaker Pimps höre. Ich meine, das ist Pop, aber er ist technisiert. Außerdem mag ich den großartigen Sound von Nine Inch Nails oder die Produktion auf den Marilyn-Manson-Alben. Dasselbe gilt für „Setting Sun“ von den Chemical Brothers – ein toller Song. Aber es reizt mich eben nur, wenn ein vernünftiger Song vorhanden ist.
Keine Loslösung vom klassischen Songwriting?
Ich mag die Idee, daß Eric Burdon zu elektronischer Musik singt. Das ist es, was passieren muß, damit das Ganze richtig funktioniert. Ansonsten hast du gesichtslose, unpersönliche Musik, die schlichtweg langweilig ist. Jedenfalls bis jetzt. Ich liebe Aphex Twin, das höre ich die ganze Zeit. Michael Beinhorn, mein Produzent, hat einige Technoplatten aus Frankfurt, und die sind einfach unglaublich: extrem hart – sie basieren auf einem einzigen guten Riff. Wenn sie aber drei gute Riffs verwendet und einen großartigen Rocksong daraus gemacht hätten, dann wäre es etwas ganz Wildes geworden. Aber das wird sicher irgendwann passieren. Ich benutze ein paar Loops, aber eben nur da, wo es angemessen erscheint. Ich habe zum Beispiel diese Ballade geschrieben – ein dunkler, verrückter, drogeninduzierter Led-Zep-Song, in den ich einfach ein paar Loops einfüge.
Worin bestehen die gravierenden Unterschiede zwischen Hole 91 und 97?
Ich denke, 1991 waren wir einfach nur, wer wir waren. Es gab keine wirklichen Kompositionen. Es war eher so etwas wie Performance-Kunst. Warum? Weil ich ganz einfach gefangen war. Ich hatte keinerlei technische Fähigkeiten außer meiner Stimme und meinen Worten. Als sich meine Technik dann langsam verbesserte, wurde ich plötzlich populär, war aber einfach zu jung, als daß sie bereits vollkommen entwickelt wäre. Es ist fast so, als ob du in deinem Leben nicht genug Zeit hattest, um das Gitarrenspiel und deine volle Musikalität zu entwickeln. Ich meine, ich habe immer noch denselben großartigen Geschmack und dieselben tollen Texte, bin jetzt aber viel ausgereifter. Und ich kann mir „Pet Sounds“, „Sgt. Pepper's“ und „Rumors“ anhören – oder auch „Crazy Train“ von Black Sabbath. Dabei erkenne ich alles, was passiert: Ich weiß, wie die Drums gespielt werden, welche Basslinien verwendet werden – jetzt habe ich die Macht, mein großes Rock 'n' Roll-Wissen in meiner eigenen Musik umzusetzen.
Es geht um die richtige Mischung von Erfahrung und Wissen?
Ja, kombiniert mit Attitüde. Das ist eine großartige Mischung, die einfach unschlagbar ist. Ich meine, es ist wie Marlon Brando, als er an den Punkt gelangte, da er seine Technik und Kraft voll entwickelt hatte – es gibt nichts Besseres.
Nothing can stop you now?
Das ist genau der Punkt. Ich will nicht gestoppt werden. Schließlich habe ich die technischen Fähigkeiten – wer könnte mich jetzt noch aufhalten? Alles, was ich will, ist dich glücklich zu machen, deine Sommernacht zu verschönern, weil ich zum Beispiel im Radio laufe und du dich gerade von deiner Freundin getrennt hast. Dann tröste ich dich mit einer Ballade. Ich gebe dir den Löffel Zucker, der es dir leichter macht, die bittere Medizin zu schlucken. Und „My Body The Hand Grenade“ ist eben pure Medizin mit ein bißchen Zukcer, aber nicht wirklich gut gemischt. Den Zucker habe ich inzwischen gefunden. Wenn du das
hast, kannst du Songs über LSD schreiben und sie von deiner Großmutter singen lassen.
Sie haben mit großem Erfolg in „Larry Flynt“ gespielt. Welchen Einfluß hat das Schauspielern auf Ihr Songwriting?
Das sind zwei verschiedene Dinge. Zwei verschiedene Industrien, zwei verschiedene Welten.
Kann man das klar voneinander trennen?
Ja, ich kann. Ich meine, beide beanspruchen eine Menge Zeit, aber meine Band hat damit überhaupt kein Problem. Meine Bassistin agiert gerade in ihrem ersten unabhängigen Film, der ein Budget von vier Millionen Dollar hat. Insofern ist das schon ein richtiger Film. Von daher sage ich auch des öfteren: Wenn wir erst mal 40 Jahre alt sind, werden wir nicht mehr in Bands spielen, sondern nur noch Filmstars sein.
Was unterscheidet die Platten- von der Filmindustrie?
Ich denke, ich habe eine sehr bourgeoise Idee von der Film- Community. Und was mich wirklich ausflippen läßt, ist, daß die Rockindustrie viel mehr Geld verdient. Also sind wir kollektiv reicher, während sie nur besser gekleidet sind. Deshalb hat Madonna auch die Entscheidung getroffen, sich nicht aufs Schauspielern zu versteifen. Ich habe das erst kürzlich erkannt, weil es mich krank macht, mitanzusehen, wie feige die Rockleute in der Gegenwart großer Filmmenschen sind. Als ich das erkannte, hat es mich beinahe umgehauen. Ich habe dann jemanden, der einen Academy Award gewonnen hat, gefragt, was er denn an dem Film wirklich verdient. Das ist gar nicht soviel Geld, wie alle denken. Es war weit weniger, als ich in einer Nacht mit einer Show verdiene. Es ist einfach eine Industrie voller bourgeoiser Strukturen, und die erliegt ihrem Selbsthaß und ihrem Sinn für das Unperfekte. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als sie zu zerquetschen.
Sie tragen den Rock 'n' Roll in den Film?
Ja, aber ich verhalte mich eben nicht als Rebell. Ich habe keine Lust, an diese Leute heranzutreten und zu sagen: Schaut auf meine enge Lederhose! In ihrem Kontext erscheint das einfach dumm. Wenn du zu einer ihrer Veranstaltungen gehst, dann mußt du ein elegantes Kleid tragen. Ansonsten wirkst du wie ein Idiot. Und warum solltest du dort hingehen, wenn du nicht daran teilnehmen willst? Ich hatte jedenfalls eine tolle Zeit, aber ich habe ja auch sehr viel Selbstvertrauen. Ich bemühe mich nicht um Anpassung – versteh mich da nicht falsch. Schließlich nehme ich diese Schauspielerei sehr ernst. Zugleich ist sie aber völlig irrelevant, da sie einfach nicht dieselbe Kraft entwickelt, die in der Musik steckt. Ich meine, großartige Filme sorgen für tolle Erinnerungen. Aber ein großer Song begleitet dich bis ans Ende deines Lebens.
Rock 'n' Roll für immer?
Ja, jedenfalls so lange, bis sich meine Einstellung grundlegend verändert. Dabei kann ich meine Verpflichtungen einfach nicht langfristig planen. Ich bin auch nicht hyperproduktiv. Ich meine, ich reagiere nicht auf äußeren Druck. Es kümmert mich nicht, was die Leute von mir denken. Und diesen Ansatz verfolge ich nun schon seit Jahren.
Sind Sie eine Pionierin?
Wenn du etwas zum ersten Mal machst, als weiblicher Rockstar zum Beispiel sehr erfolgreich schauspielerst, dann gibt es dafür einfach keinen Kontext. Das hat noch niemand vor mir gemacht. Und weißt du, warum? Weil Frauen ohnehin viel bessere Schauspieler sind als männliche Rockstars. Leider waren es bisher nur männliche Musiker, die sich daran versucht haben. Sie meinen, das wäre ein einfacher Schritt, aber ich bin mir sicher, daß es angesichts der großen Zahl von Frauen im Mainstream nur eine Frage der Zeit ist, bis sie alle irgendwelche Agenten anheuern und sich im Filmgeschäft versuchen. Heute hat doch jeder einen Agenten! Von daher wirst du bald noch mehr von diesen guten Performances sehen. Schließlich denken sie alle: Was die kann, können wir schon lange. Entweder, weil sie viel besser oder viel hübscher sind. Egal, ich mag es, andere Mädchen zu inspirieren.
War das die ursprüngliche Intention von Hole – den Frauen zu zeigen, daß Rockmusik keine maskuline Bastion ist?
Das ist meine Intention. Absolut. Ich habe erst vor kurzem mit Fender eine spezielle Gitarre für Mädchen entwickelt. Davon habe ich 20 Stück für die Jugendheime gestiftet, in denen ich als Teenager gelebt habe. Außerdem habe ich erst gestern eine an Demi Moore und Sharon Stone geschickt. Frei nach dem Motto: Weil du ein echter Rockstar bist. Insofern zeige ich den Frauen, wie elegant es ist, chaotisch zu sein.
Wie funktionieren Hole heute – gewähren Ihre Schauspielerambitionen den übrigen drei etwa mehr Freiräume?
Nun, gerade jetzt, während wir hier reden, spielt Patty ihre Drum- Parts ein. Und das scheint ihr in meiner Abwesenheit einfach besser zu gelingen. Wir haben in den letzten 18 Monaten sehr viel geübt, um dieses Album zu schreiben. Von daher funktionieren wir auch sehr gut. Ich denke, wir werden Ende Oktober eine Show in New York machen – unsere erste seit Ewigkeiten. Die anderen waren überhaupt sehr geduldig. Sie haben sich ganz auf ihren eigenen Kram konzentriert, haben geschauspielert, haben Songs geschrieben, Demos produziert. Sie haben einfach alles mögliche gemacht, während ich meinen kleinen Hollywood-Ausflug unternommen habe. Von daher funktionieren wir sehr gut, es gibt keine Konflikte.
Ist das Album schon fertig?
Wir sind gerade in der entscheidenden Phase, und ich tue mein Bestes. Es ist aber noch nie vorgekommen, daß Patty während meiner Abwesenheit aufnimmt. Ich weiß nicht warum, aber ich vertraue diesem Typen einfach – Michael Beinhorn, meinem Produzenten.
Wann genau rechnen Sie mit der Veröffentlichung?
Im Januar. Ich versuche derzeit, es noch für November durchzuboxen, aber das ist wohl nur eine fixe Idee.
Haben Sie eigentlich noch viel Material aus den wilden Jahren im Archiv?
Ich glaube, da ist noch einiges. Aber ich habe es einfach vergessen, weil mein Gehirn nicht mehr richtig funktioniert und ich mich nur noch auf das konzentrieren kann, was unmittelbar vor mir liegt.
Niemals zurückschauen?
Ich kann mich zurücklehnen und sagen: „Ich war ein richtig heißer Feger.“ Interview: Marcel Anders
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen