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■ Atomindustrie: Das Gutachten entlastet Nukem nur scheinbarDer Skandal bleibt

Nehmen wir einmal an, es hat am 20. Januar 1987 bei Nukem in Hanau – wie von dem Unternehmen heute behauptet – tatsächlich keine Explosion gegeben. Nehmen wir an, die Gutachtergruppe Arge Pham hätte Indizien, die Nukem entlasteten, übersehen. Ob absichtlich oder aus Schlamperei, ist im Effekt gleichgültig. Und nehmen wir weiter an, daß die Arge Pham, wie auch suggeriert wurde, aus Geldgier dilettantisch und nur wenig sorgfältig arbeiteten – und dies, obwohl es für die beiden ersten Gutachten aus der Kasse des Umweltministeriums immerhin rund 200.000 Mark gab. Nehmen wir vertrauensselig das alles an – zugunsten von Nukem, die als Top-Skandalfirma und Mutter der Hyper-Skandalfirma Transnuklear (TN) (an der Nukem früher mit 67 Prozent beteiligt war) in die Geschichte eingegangen ist.

Selbst wenn all dies zutrifft, bleibt die Tatsache, daß rund 300 Beschäftigte von Nukem im Januar 1987 verstrahlt wurden. Plutonium und Americium wurden von der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GFS) ermittelt. Und die GFS ist ganz bestimmt keine atomkritische Großforschungsanstalt. Nukem hatte damals übrigens keine Genehmigung für den Umgang mit Plutonium. Der Geschäftsführer von Nukem kann sich die Kontamination der Beschäftigten 1987 „nicht erklären“. Aber er glaubt, ein „Explosionsereignis“ ausschließen zu können. Seine Beweisführung: extrem dünn. Die Beweisführung der Arge Pham: noch nicht offengelegt.

Was auch immer dabei herauskommen wird: Der Skandal bleibt. Auch wenn es keine Explosion im Werk gegeben haben sollte, sondern vielleicht „nur“ ein geplatzes, illegal bei Nukem deponiertes Plutoniumgebinde. Schließlich war Nukem/TN damals darauf spezialisiert, Atomtransporte falsch zu deklarieren. Die Lüge hat bei Nukem/TN ein lange Tradition.

Rund 300 Beschäftigte wurden verstrahlt. Ob die Betroffenen das damals erfahren haben, ist eine Frage, die Nukem bis heute noch nicht beantwortet hat. Unklar ist auch noch immer, wie viele Arbeiter aus dieser Schicht schon an Krebs starben. So wie der Nukem-Mitarbeiter Ferstl; der erste Mensch, dessen Krebserkrankung von der Berufsgenossenschaft posthum – nach der Auswertung von Gewebeproben – als Berufserkrankung anerkannt wurde. Der Mann hatte in den 70ern, wie Nukem später zugeben mußte, das 28fache der erlaubten Lebensdosis an Radioaktivität abbekommen. Klaus-Peter Klingelschmitt

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