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Auslieferung Pinochets genehmigt

Nachdem der britische Innenminister ein Auslieferungsverfahren zugelassen hat, muß der chilenische Ex-Diktator Ende des Monats in London vor Gericht erscheinen  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Das Auslieferungsverfahren gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet kann eröffnet werden. Das entschied gestern der britische Innenminister Jack Straw. Pinochet war im vergangenen Oktober bei einem Einkaufstrip nach London aufgrund eines spanischen Haftbefehls festgenommen worden. Seitdem steht er unter Hausarrest in einer Villa in der Grafschaft Surrey, wo die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher regelmäßig zum Teestündchen vorbeischaut.

Der spanische Richter Balthasar Garzon wirft Pinochet vor, während seiner Herrschaft von 1973 bis 1990 für die Folter und Ermordung Tausender Menschen in Chile, darunter auch spanischer Staatsbürger, verantwortlich zu sein. Nach dem Putsch 1973 wurden laut eines offiziellen chilenischen Berichts 3.197 Menschen ermordet, oder sie verschwanden spurlos. In ihrem ersten Urteil Ende vorigen Jahres entschieden die Lordrichter des Londoner Oberhauses, Britanniens höchster Rechtsinstanz, daß der Ex-Diktator keine Immunität genieße.

Das Urteil wurde jedoch aufgrund eines Befangenheitsantrags der Pinochet-Verteidiger kassiert: Einer der Richter hatte Verbindungen zur Menschenrechtsorganisation amnesty international. Noch nie zuvor war ein Urteil der höchsten Rechtsinstanz angezweifelt, geschweige denn aufgehoben worden.

In ihrem neuen Urteil vom 24. März schränkten die Lordrichter die spanischen Anklagepunkte drastisch ein. Pinochet kann jetzt nur noch wegen Verbrechen angeklagt werden, die er nach 1988 begangen haben soll, weil Großbritannien erst im September jenen Jahres die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen ratifiziert hat. Dadurch bleiben von den 32 spanischen Anklagepunkten nur drei übrig. Richter Garzon will zur Auslieferungsanhörung jedoch neue Beweise nachreichen.

Pinochets Sprecher Patrick Robertson kritisierte Straws Entscheidung. Es sei nicht erwiesen, daß Pinochet die Verbrechen überhaupt begangen habe. Der Direktor der Pinochet-Stiftung, Alfonso Marquez de la Plata, rief zu einem „nationalen Kreuzzug“ auf, um den 83jährigen Ex-Diktator nach Hause zu holen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch begrüßte dagegen Straws Erklärung: Pinochet werde sich nun endlich für seine schrecklichen Verbrechen verantworten müssen. Amnesty international sagte, die Opfer der Diktatur seien der Gerechtigkeit einen großen Schritt näher gekommen. Viele Angehörige der Opfer Pinochets hatten in der Nacht zu gestern eine Mahnwache vor dem Londoner Parlament abgehalten. Ihre Sprecherin Sola Sierra sagte: „Hoffentlich kommt Pinochet nie mehr nach Chile.“

Dieser Wunsch könnte in Erfüllung gehen, das Verfahren in Großbritannien kann sich noch lange hinziehen. Das britische Innenministerium hält Pinochet trotz seines hohen Alters und seiner angeschlagenen Gesundheit für verhandlungsfähig.

Pinochets Anwälte werden wohl gegen die Entscheidung des Innenministers Widerspruch einlegen, und das Auslieferungsverfahren, das am 30. April beginnen soll, wird mehrere Instanzen durchlaufen, so daß es noch viele Gelegenheiten für Teestündchen mit Thatcher geben wird.

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