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Tschetschenien ist weit, weit weg

Anders als beim Kosovo-Konflikt schweigt die deutsche Friedensbewegung zum Krieg der Russen gegen Tschetschenien. Aktiv sind nur die Islamisten – und die Gesellschaft für bedrohte Völker  ■   Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Man bereite ein „Tribunal gegen die Nato“ in Berlin vor, so die Sprecherin der „Friedenskoordination“, und könne sich jetzt nicht „verzetteln“

Frankfurt (taz) – „Wir verurteilen das Morden tausender unschuldiger Zivilisten [...]. Wir rufen alle Politiker und alle internationalen Organisationen dazu auf, alles Mögliche zu tun, um diesen, vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfindenden grausamen Völkermord endlich zu beenden.“

Zwei Sätze aus einer Rede des bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele, der schon im März 1999 das „Bombardement“ der Nato in Serbien scharf verurteilte? Ein Auszug aus einem „Flugi“ der Autonomen, die Bundesaußenminister Joschka Fischer auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen mit dem Ruf: „Mörder, Mörder!“ begrüßten – wegen der Beteiligung deutscher Kampfflieger am Einsatz der Nato zum Schutz der Kosovaren? Oder ein Aufschrei der deutschen Friedensbewegung gegen die seit Wochen andauernde mörderische Aggression der russischen Armee und der russischen Luftwaffe gegen Städte und Dörfer in Tschetschenien?

Mitnichten. Die beiden Sätze fanden sich in einem Aufruf muslimischer Organisationen in Deutschland zur Teilnahme an einer Friedensdemonstration am 13. November in Mannheim.

Desweiteren echauffiert über das „Blutbad“, das die Russen in Tschetschenien veranstalten, hat sich auch die obskure islamische Bewegung „Der Kalifenstaat“, deren „geehrter Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime“, Muhammad Metin Müftüoglu, seit mehr als einem halben Jahr in U-Haft sitzt. Es besteht der Verdacht der Anstiftung zum Mord an „Abtrünnigen“. „Der Kalifenstaat“ mobilisierte gleichfalls zum 13. November für eine „Demonstration aller Muslime“ vor der russischen Botschaft in Berlin: „Wer keinen Anteil am Kummer der Muslime hat, ist nicht von uns!“ Einige hundert „Kalifenstaatler“ protestierten friedlich.

War da noch was?

Ja. Noch eine Demonstration vor der russischen Botschaft in Berlin, organisiert von der Ortsgruppe der PDS. Zehn Genossen kamen.

Und die Geschäftsstelle der PDS in Saarbrücken hat ihr Plakat gegen die Nato: „Die Waffen nieder!“ mit einem Papierstreifen ergänzt, auf dem – verschämt – steht: „auch in Tschetschenien“.

Warum schweigt die Friedensbewegung hier? Warum melden sich die Kritiker der Bombenabwürfe der Nato über Serbien und dem Kosovo heute nicht (mehr) zu Wort? Weil keine US-Amerikaner dabei sind in Tschetschenien? Und keine Deutschen? „Alles zu weit weg“, mutmaßt Wolfgang Kühr vom Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Kühr hatte laut aufgeschrien, als die Nato in Serbien Tanklager und Chemiefabriken bombardierte und so eine „ökologische Katastrophe“ billigend in Kauf genommen habe. Auch die Russen werfen heute Bomben auf Tanklager und Pipelines; aber kein Wort vom BBU dazu.

„Bedauerlich“ sei das, sagt Kühr. Doch der Vorstand des BBU könne mit Protestresolutionen gegen den Krieg in Tschetschenien erst an die Öffentlichkeit gehen, wenn die im Verband organisierten Initiativen entsprechend aktiv würden. Und das sei – anders als noch im Frühjahr, während des Kosovo-Konflikts – „heute einfach nicht der Fall“. Auch die großen Friedensorganisationen wie die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) oder die „Friedenskoordination“ hätten, so Kühr, noch nichts Substanzielles gesagt zum Krieg im Kaukasus.

Stimmt. Die Bundesinitiative für Frieden und Menschenrechte e.V. lädt zu einer Ausstellung in Frankfurt am Main: „Foto-Dokumente über Nato-Zerstörungen in Jugoslawien“. Gleichzeitig wird ein Buch vorgestellt: Das „Weiß-Buch“ des jugoslawischen Außenministeriums mit „Beweisen über Kriegszerstörungen“. Auch die „Friedenskoordination“ in Berlin, zu Zeiten des „Krieges der Nato auf dem Balkan“ eine der aktivsten Organisationen, plant keine Aktionen gegen den Krieg von Jelzin und Putin im Kaukasus.

Man bereite ein „Tribunal gegen die Nato“ in Berlin vor und könne sich jetzt „nicht verzetteln“, sagt die Sprecherin der „Friedenskoordination“, Laura von Wimmersperg. Nicht, dass sie den Krieg in Tschetschenien nicht „schrecklich“ finde; aber ihre Gruppe arbeite jetzt „grundsätzlich“ zur Friedensthematik. Und im Übrigen sei die Friedensbewegung „nicht das Feigenblatt für Politiker und für Journalisten, die auch nichts machen“, gibt von Wimmersperg zu Protokoll. Keine laute Stimme gegen den blutigen Krieg der Russen auch beim Grün-Alternativen Jugendbündnis (GAJB) – und auch nicht bei den Landesorganisationen der Parteijugend. Dabei war dort der Einsatz der Nato im Kosovo extrem kontrovers diskutiert worden; es gab „Verwundungen“ der grünen Seele überall. Und es gab Parteiaustritte. Insbesondere nach dem (irrtümlichen) Bombardement von Flüchtlingen im Kosovo. Die russischen Truppen schießen in Tschetschenien auch auf Flüchtlinge, die im offiziellen Sprachgebrauch der Armee „Terroristen“ heißen.

Kein zulässiger Vergleich? Der Geschäftsführer der Grünen Jugend Hessen (GJH) etwa will dazu nichts sagen. Schließlich repräsentiere er einen Landesverband und könne sich deshalb „nur zu landespolitischen Themen“ äußern. Brav gesprochen.

Von „Zerrissenheit“ der grünen Jugend in der „Tschetschenien-Frage“ (die sich hier offenbar gar nicht erst stellt) – wie noch bei den Nato-Einsätzen im Kosovo – spricht auch beim Bundesverband kein Mensch.

Also außer islamischen, respektive islamistischen Aktionen keine Proteste nirgendwo in Deutschland gegen den Krieg der Russen gegen das tschetschenische Volk? Auch nicht nach dem tagelangen Bombardement von Grosny mit hunderten Toten?

Doch. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (gfbv) ruft zur bundesweiten Weihnachtsaktion „Ein Licht für Tschetschenien“ auf – für den 16. Dezember von 17 bis 18 Uhr. Lichterketten und Mahnwachen sollen dann stattfinden, denn: „Die Tschetschenen brauchen dringend unsere Solidarität und Unterstützung“, heißt es in dem Aufruf dazu. Wer mitmachen will, ruft bei „Aktionsreferentin“ Sandra Schillikowski an: gfbv Göttingen, (0551) 4 99 06.

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