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Kritischer Journalist ermordet

Der türkisch-armenische Chefredakteur Hrant Dink wird in Istanbul auf offener Straße erschossen. Ministerpräsident Tayyip Erdogan: „Anschlag auf die Demokratie“

BERLIN taz ■ Ein schweres politisches Attentat hat gestern Nachmittag die Türkei erschüttert. Hrant Dink, Chefredakteur und Herausgeber der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, wurde durch zwei Schüsse ermordet, als er gerade das Gebäude seiner Zeitung in Istanbul verließ und zu seinem Auto gehen wollte. Dink war sofort tot. Noch ist unklar, ob das Attentat von einem oder von mehreren Tätern verübt wurde. Augenzeugen wollen zumindestens einen jungen Mann, der um die 20 Jahre alt sein soll, gesehen haben.

Obwohl über den Hintergrund des oder der Täter noch nichts bekannt ist, muss man doch davon ausgehen, dass das Attentat einen nationalistischen, faschistischen Hintergrund hat. Hrant Dink war der bekannteste Sprecher der armenischen Gemeinde in der Türkei. Seit Jahren setzte er sich dafür ein, dass die türkische Gesellschaft sich mit dem Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges auseinandersetzt.

Durch sein Engagement war er zur Hassfigur aller türkischen Faschisten geworden. Zweimal war er in den letzten Jahren wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt und in einem Fall auch zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Ein weiterer Prozess gegen ihn war anhängig, weil er in einem Interview explizit von einem Völkermord gesprochen hatte.

Der Mord an Hrant Dink, auf den in ersten Reaktionen in den türkischen Nachrichtenkanälen alle Kommentatoren mit großer Bestürzung reagierten, ist das letzte sichtbare Zeichen für einen in den letzten ein bis zwei Jahren stetig eskalierenden, immer aggressiver agierenden Nationalismus. Das äußert sich nicht nur in steigenden Umfragewerten für die national-faschistische MHP und den andauernden Prozessen wegen „Beleidigung des Türkentums“ gegen kritische Intellektuelle. Deren prominentestes Opfer war Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Dem Attentat an Hrant Dink waren andere Attentate aus nationalistischen Motiven vorangegangen. Dazu gehört der Mord an einem italienischen Priester in Trabzon und mehrere Lynchversuche von aufgebrachten Menschenmengen, die auf vermeintliche Anhänger der kurdischen PKK losgegangen waren.

Der Mord an Dink wird zur ultimativen Herausforderung für die türkische Gesellschaft. Wenn Regierung und Opposition jetzt kein deutliches Zeichen setzen, droht ein Rückfall in die Zeit der Todesschwadronen. In einer ersten Reaktion sagte Ministerpräsident Tayyip Erdogan, das Attentat sei ein Anschlag auf die Demokratie, das freie Denken und die Einheit der Nation. Er versicherte allen armenischen Bürgern sein Mitgefühl und versprach, alles daranzusetzen, die Mörder und ihre Hintermänner zu fassen und zu verurteilen.

Der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir sagte der taz: „Hrant Dink war ein enger Freund von mir. Ich hoffe, dass der Mord in der Türkei jetzt zum Anlass genommen wird, das Verhältnis zu der christlichen Minderheit und dem Nachbarland Armenien grundlegend zu ändern. Das wäre eine angemessene Reaktion den Mördern gegenüber.“ JÜRGEN GOTTSCHLICH

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