: NRW: SPD hofft auf Renaissance
Mit 95,6 Prozent der Stimmen wird Hannelore Kraft zur neuen Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen SPD gewählt. Müntefering und Beck bejubeln das Ende einer traumatischen Zeit. Aber schon in der Frage der Steinkohle ist die SPD uneins
AUS BOCHUM KLAUS JANSEN UND MARTIN TEIGELER
Das vielleicht schönste Kompliment erreichte Hannelore Kraft aus Paris. „Eine brillante und dynamische Frau“ habe die nordrhein-westfälische Sozialdemokratie an ihre Spitze berufen, dichtete die französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal. Kurz vor der Verlesung der „sozialistischen Grüße“ aus Frankreich war Hannelore Kraft in der Bochumer Jahrhunderthalle zur neuen Chefin der NRW-SPD gewählt worden. 95,6 Prozent der Delegierten des Landesparteitags stimmten dafür, dass die zu Tränen gerührte Kraft die Nachfolge des zurückgetretenen Übergangsvorsitzenden Jochen Dieckmann antreten solle.
Was für Ségolène Royal ein „Beweis für den Vormarsch für die Gleichberechtigung der Geschlechter“ ist, deutete Franz Müntefering vor allem als Symbol für einen längst notwendigen Aufbruch. „Heute beginnt etwas Neues. Heute ist der 22. Mai 2005 endlich vorbei“, sagte der Vizekanzler. Die SPD an Rhein und Ruhr habe die Landtagswahlniederlage nun verarbeitet. Auch Parteichef Kurt Beck hofft, mit der 45-jährigen Ökonomin eine kampagnentaugliche Figur für die Landtagswahl 2010 gefunden zu haben – dann soll Kraft gegen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) antreten.
Als Gastgeschenk der Bundespartei hatte Beck ein klares Bekenntnis zur Zukunft der deutschen Steinkohle mitgebracht. Die CDU liege falsch in dem Glauben, dass die SPD von ihrer Forderung nach einem Sockelbergbau auch nach dem Jahr 2018 abrücken werde, sagte der Parteichef. Auch Müntefering nannte es „bescheuert“, sich von der Kohleförderung zu verabschieden. Mit einem „Glückauf für die Steinkohle“ stellte sich der Bundesarbeitsminister an die Seite von Kraft. Die Düsseldorfer Oppositionsführerin hatte die Pro-Kohle-Position der Partei bereits in den vergangenen Wochen für nicht verhandelbar erklärt und dafür auch Krach mit ihrem NRW-Parteifreund Peer Steinbrück in Kauf genommen. Der Bundesfinanzminister blieb dem Parteitag fern – offiziell wegen einer Grippeerkrankung.
In ihrer Bewerbungsrede hatte Kraft die SPD zuvor aufgefordert, sich auf ihren „Markenkern soziale Gerechtigkeit“ zu besinnen. Den „unauthentischen Sozialschauspieler Rüttgers“ wolle sie „demaskieren“ und mit „frischem Wind“ aus dem Amt vertreiben. In ihrem gut einstündigen Vortrag bestätigte Kraft aber auch ihren Ruf als Neinsagerin der Landespolitik: Ob Bildungs-, Haushalts-oder Wirtschaftspolitik – mit ihrem Motto „Privat vor Staat“ sei die Regierung Rüttgers in fast allen Politikfeldern auf dem falschen Weg.
Die erste Kraftprobe mit seiner neuen Rivalin steht dem Ministerpräsidenten spätestens bei der nächsten Kohlerunde bevor. Zusätzliche Brisanz bekommt die auch durch die Ankündigung des Essener Unternehmens RAG, dass ihre Tochterfirma Deutsche Steinkohle wegen der zu hohen Kosten für den Bergbau vielleicht schon in diesem Jahr eine Zeche schließen und rund 3.000 Kumpel entlassen müsse. Kohlegegner Rüttgers sieht darin den Beweis dafür, dass der Subventionsbergbau auf Dauer nicht zu finanzieren ist: Wer einen Sockelbergbau verspreche, „belüge die Leute“, sagte er am Wochenende.
Einem Bericht des Spiegel zufolge teilt auch Finanzminister Peer Steinbrück diese Position. Das Magazin zitiert aus einem Vermerk aus dessen Ministerium, nach dem der Bund die Subventionen bis 2012 sogar um 2,5 Milliarden Euro aufstocken müsste, um Kündigungen zu vermeiden. SPD-Parteichef Beck aber unterstützt Kraft: „Hannelore war wichtig, ist wichtig und wird noch wichtiger werden“, sagte er – und drückte sie ganz fest an seinen wohlgenährten pfälzischen Bauch.
meinung und diskussion SEITE 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen