: Die Reifeprüfung
Fast hätte der Quotenhit Handball in diesen Tagen die Goldene Kamera verdrängt – doch wie sieht es für die Sportart TV-mäßig nach der WM aus?
Von Andreas Rüttenauer
Ullrich Strombach, als Präsident des Deutschen Handballbundes verantwortlich für die Organisation der Weltmeisterschaft, zog schon vor dem Finale strahlend Bilanz. „Wir sind in eine neue Dimension vorgestoßen“, sagte er. Die Hallen seien voll, die Mannschaften mit der Organisation zufrieden gewesen, vor allem aber zeigte sich Strombach vom Interesse der Deutschen für den Handballsport begeistert. Die Übertragungen der deutschen Spiele in der letzten Turnierwoche brachten Rekordquoten. Das Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich am Donnerstag sahen im Schnitt mehr als zehn Millionen, in der Spitze über 15 Millionen Zuschauer.
„Jetzt sind wir reif für die Primetime“, sagte Strombach. Die Spiele der Deutschen hatten immer am späten Nachmittag begonnen, auch weil ARD und ZDF vor der WM nicht bereit waren, ihr Abendprogramm für den Handballsport frei zu räumen. Erst als das deutsche Team immer besser spielte und sich immer mehr Zuschauer einschalteten, fingen die Verantwortlichen an umzudenken. Das Halbfinalspiel gegen Frankreich hätte auf 18.30 Uhr verschoben werden können, obwohl bei einer Verlängerung die für 20.15 Uhr vorgesehene Übertragung der Gala zur Verleihung der Goldenen Kamera nach hinten gewandert wäre. Das sei durch alle Gremien bereits abgesegnet gewesen, so ein ZDF-Insider. Das Veto des Halbfinalgegners Frankreich verhinderte jedoch den kleinen Schritt in Richtung Primetime.
Den hat das DSF bereits getan. Der Sportsender überträgt das sogenannte „Spiel der Woche“ in der Handball-Bundesliga immer dienstags um 20 Uhr. Auf den WM-Zug wollte er allerdings zunächst nicht aufspringen. Erst zehn Tage vor Beginn des Championats sicherte sich das DSF die TV-Rechte. Das Halbfinale zwischen Polen und Dänemark sahen im Schnitt 2,16 Millionen Zuschauer. Es war dies die zweithöchste Quote, die das DSF je mit einer Handballübertragung erzielen konnte. Nur das EM-Finale 2004 zwischen Slowenien und Deutschland zog noch mehr Zuschauer an. Nun hofft man, den Schwung der WM in den Ligaalltag mitnehmen zu können.
Eher skeptisch ist man beim ZDF. Sportchef Dieter Gruschwitz: „Es bleibt abzuwarten, ob diese Euphorie für Handball auch im sportlichen Alltag Bestand hat.“ Wie bei der ARD gibt es keine konkreten Pläne, die Handball-Berichterstattung über die Kurzbeiträge in der Sport-Reportage, dem Sportstudio oder der Sportschau auszudehnen. Das Interesse für Handball sei immer noch regional beschränkt, so der ARD-Programmgeschäftsführer Sport, Karl-Günther Wollscheid. Die Liveübertragungen von Bundesligaspielen in den dritten Programmen auszubauen, könne er sich allerdings durchaus vorstellen.
Komplett ist die Liga, so wie es auch die WM war, nur gegen Gebühr über das Internet via sportdigital.tv zu sehen. Die Liveübertragungen bei der WM haben technisch zunächst gar nicht, dann besser und am Ende leidlich geklappt. Dennoch war Lars P. Reckwitz, beim Rechteverwerter Sportfive für den digitalen Kanal zuständig, zufrieden mit den Zugriffszahlen. Eine „bedeutende Zahl von Usern im fünfstelligen Bereich“ habe sich registrieren lassen. Vor allem bei den Spielen der Skandinavier und der Kroaten hätten sich viele Fans eingeloggt. Ansonsten denkt Reckwitz wie die Sportverantwortlichen bei ARD und ZDF. Ihre These: Nur wenn Deutschland bei einem wichtigen Turnier weit kommt, entwickelt sich der Handball zu einer Jedermannssportart. Bis dahin bleibt der Ligahandball in der Nische.
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