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Frust kann ein Anfang sein

Die Bürger schimpfen auf die Regierung. Die Koalition tut so, als könnte sie alles zum Guten wenden. Und plötzlich spricht ein CDU-Politiker von Frusterlebnissen. Gut, dass er die Schönrednerei einstellt!

VON LUKAS WALLRAFF

Meine Partei ist an der Regierung – und deshalb wird jetzt alles gut. So reden Politiker, die wie am Schnürchen funktionieren und ihre Parteisoldatenpflicht erfüllen. Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Bosbach, hat sich lange so verhalten und die Regierungspolitik verteidigt. Fleißiger als die meisten: immer erreichbar, stets loyal. Doch seit dieser Woche funktioniert er nicht mehr. Bosbach hat die Schnauze voll – und sagt es offen. Als er gefragt wurde, was er denn über den Rückzug des Wirtschaftslobbyisten Friedrich Merz aus dem Bundestag denke, hätte Bosbach den ungeschriebenen Gesetzen zufolge sagen müssen: Schade. Schade, dass Merz leider nicht mehr mitmacht bei unserer Politik, die das Land voranbringt.

Bosbach aber nahm den Merz-Abgang zum Anlass, um seinen eigenen Frust herauszulassen. „Ich habe alles dafür getan, dass wir an die Regierung kommen“, sagte Bosbach. „Aber wenn man in vierzehn Monaten Regierung mehr Frustrationserlebnisse hat als in sieben Jahren Opposition, kommt man ins Grübeln.“ Die Gesundheitsreform und überhaupt die vielen Kompromisse – er sei nur deshalb „noch“ nicht so weit, aufzuhören, weil er immer und ausschließlich CDU-Politik gemacht habe. „Etwas anderes kann ich gar nicht.“ So viel Unzufriedenheit, aber auch Unsicherheit einzugestehen war ein Tabubruch. Ein bisher ungehörtes und aus Sicht der eigenen Partei unerhörtes Jammerlied, das viel mehr Aufsehen erregte als der erwartbare Rückzug des Außenseiters Merz. Der galt ohnehin als neoliberaler Extremist und in der Union als politisch chancenlos, jedenfalls solange seine Feindin Angela Merkel in der Union das Sagen hat.

Nun aber sprach ein bis dato kreuzbraver Funktionär über „Frustrationserlebnisse“. Das irritiert. Bosbach stellt mit seinen unerwarteten Bemerkungen die heikelste aller Fragen – die Sinnfrage. Er äußert Zweifel daran, dass richtig ist, was er und seine 600 Kollegen Tag für Tag im Bundestag betreiben. Was ihn grübeln lässt, betrifft, wenn sie ehrlich sind, alle – egal ob sie den aktuellen Regierungsparteien angehören, früheren oder künftigen. Schönreden gehört für alle zum Geschäft, die ein Stückchen Macht abbekommen möchten – jedenfalls dann, wenn ihre eigene Partei regiert. Muss man dieses Spiel ewig mitspielen?

Von seinen brav gebliebenen Parteifreunden wird Bosbach nun behandelt wie ein Deserteur. Gerade weil er aussprach, was sie selber denken, sind sie ihm böse. Sie fühlen sich verraten von ihrem Vizefraktionschef, den sie gerade wegen seiner traditionellen Middle-of-the-Road-Haltung stets mit herausragenden Stimmenzahlen wiedergewählt hatten. Und nun tickt der auf einmal aus. Was sagt man dazu? Dazu sagt man: „Jeder muss begreifen, dass Politik keine Selbsterfahrungsgruppe ist.“ So hat der CDU-Haushaltspolitiker Steffen Kampeter Bosbachs Einlassungen kritisiert und einen interessanten Satz hinterhergeschoben: „Persönliche Befindlichkeiten über Interviews mitzuteilen ist mir ein zu postmodernes Politikverständnis.“

Kampeter irrt. Es wird höchste Zeit, dass Politiker nicht mehr mitspielen bei der gewohnten Schönrednerei und Verdrängerei, bei den geheuchelten Lobgesängen und bei den offensichtlich hochstaplerischen Behauptungen, alles im Griff zu haben. Bosbach hat ein Zeichen gesetzt. Es greift zu kurz, seinen Frust allein auf enttäuschte Karrierehoffnungen zurückzuführen. Die Vermutung liegt zwar nahe, dass Bosbach anders reden würde, wenn er Innenminister oder Fraktionsvorsitzender geworden wäre. Aber selbst dann hätte er Gründe, frustriert zu sein.

Die widersprüchlichen Erwartungshaltungen können Regierungspolitiker kaum erfüllen. Sie sollen einerseits ihre Wahlversprechen einhalten, aber andererseits nicht mit dem Koalitionspartner streiten. Unmöglich. Sie sollen das Klima schützen, aber auch die Arbeitsplätze. Schwierig. Nichts ist leichter, als wegen der vielen Kompromisse auf die Regierung zu schimpfen. Nichts ist aber auch bequemer. Viele machen alle vier Jahre ein Kreuzchen und verhalten sich selbst schizophren. Grünen-Wähler verlangen mehr Klimaschutz – und buchen den nächsten Billigflieger. Linkspartei-Wähler fordern sozialere Politik – und kaufen bei Lidl ein. Unionswähler fordern weniger Kündigungsschutz – und jammern, wenn es sie selber trifft. Es sind auch diese Widersprüche, die zu der kaum erträglichen Kompromisspolitik führen. Mehr direkte Demokratie, Volksabstimmungen und Volksbegehren wären ein Ausweg. Er rückt näher, wenn Politiker das Scheitern der traditionellen Parteienpolitik einräumen. Vielleicht war Bosbachs Frustanfall ein Anfang.

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