: Gemeinsam einsam
Mobbing im Lehrerzimmer ist ein verbreitetes Phänomen. Das hat auch strukturelle Ursachen: Es fehlt oft an kompetenter Führung, weil Rektoren auf ihre Aufgaben nur mangelhaft vorbereitet sind
VON JEANNETTE GODDAR
Sie hatte sich auf ihren Job gefreut. Vor zweieinhalb Jahren platzierte Silke Linnen (Name geändert) ihre Unterlagen auf dem ihr zugewiesenen Fleckchen Tisch im Lehrerzimmer und machte sich in Berlin-Neukölln an die Arbeit. Mit wenig Erfahrung, aber mit vielen Ideen: Statt hinter verschlossenen Türen wollte sie in einem offen stehenden Zimmer unterrichten; statt streng nach Buch in fächerübergreifenden Epochen und Projekten. Weil das gemeinsam besser geht als alleine, fragte sie ihre neuen Kollegen, ob sie mitmachen. Dabei schlug sie auch vor, dass die Lehrer der Schule sich regelmäßig in ihren Klassen besuchen. So, dachte sie, sähen sie Unterricht auch einmal von außen und könnten durch die Anschauung viel lernen.
Sie hatte die Rechnung ohne ihre Kollegen gemacht. Eine sagte immerhin laut, das sei ihr alles viel zu viel. Ein zweiter warf ein, so naiv sei er bei seinem Berufsstart auch gewesen. Alle anderen sagten gar nichts; nicht, als sie die Initiative ergriff, und auch nicht danach. Stattdessen verfiel künftig jedes Mal, wenn sie das Lehrerzimmer betrat, die große Runde in eisiges Schweigen. Wenn sie ging, konnte sie nichts liegen lassen. Regelmäßig verschwanden ihre Unterlagen. Am Ende bekam sie sogar zu Hause anonyme Anrufe und glaubte, es sei ein sogenannter Kollege. Nur mit Mühe und Not und unter enormem psychischen Stress überstand Silke Linnen ihr Referendariat.
Dass Schüler Schüler mobben, ist längst bekannt und erforscht. Nach Untersuchungen der Münchner Entwicklungspsychologin Mechthild Schäfer werden regelmäßig eine halbe Million Kinder in Deutschland in ihrem Schulalltag Opfer von Schikanen, Ausgrenzung und psychischer Gewalt. Doch Schüler sind nicht die einzigen Mobber an deutschen Schulen. Auch Lehrer mobben Schüler – und: Sie mobben andere Lehrer. „Mobbing im Lehrerzimmer ist ein gewaltig unterschätztes Problem“, sagt Horst Kasper. 70 Mobbing-Fälle hat der ehemalige Schulleiter und Personalrat für sein „Handbuch für die mobbingfreie Schule“ ausgewertet und kommt zu dem Schluss: Den typischen Mobber oder Gemobbten gibt es im Lehrerzimmer so wenig wie anderswo. Was es aber gibt, sind wiederkehrende Muster: Häufig trifft es Ältere sowie Nachwuchskräfte, die voller Eifer an die Arbeit gehen. „Wer neue Wege geht, verdirbt schnell die Preise. Und wem die Kraft schwindet, der ist ein einfaches Opfer“, sagt Kasper. Viele eskalierten unter Anwendung von Psychoterror so lange, bis der Betroffene versetzt wurde oder sich vorzeitig pensionieren ließ.
Die Schulleiter sind in diesen Fällen längst nicht immer die Schlichter, die sie sein sollten – sondern zuweilen auch Beteiligte. Für Kasper sind schon durch deren Zwitterrolle Konflikte programmiert. „Einerseits sind Schulleiter verlängerter Arm der Schulaufsicht, andererseits Primus inter Pares“, sagt Kasper, „dieser Spagat konterkariert jede klare Linie.“ Dazu komme, dass Schulleiter sich von Lehrern immer noch viel zu häufig durch nichts unterscheiden – außer durch ihre Jobbeschreibung. Wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind würden viele zum Chef, moniert auch Eberhard Fehlau, Psychologe und Supervisor in Nordrhein-Westfalen. Ohne jede Fortbildung in Personalführung oder Management wechselten sie die Rollen. „Wenn Schulleiter ohne Führungskompetenz auf einen Haufen frei schaffender Einzelkämpfer treffen, ist das der ideale Nährboden für Mobbing“, sagt Fehlau. Wenn der Supervisor wegen scheinbar unlösbarer Konflikte zu Hilfe gerufen wird, versucht er etwas in Gang zu setzen, was an Schulen immer noch die Ausnahme ist: Die Kommunikation unter den Kollegen.
Dabei täten Schulleiter gut daran, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Wie alle Vorgesetzten sind sie verantwortlich für ihr Personal und auch für dessen Gesundheit. Martin Meister (Name geändert), ein Berliner Gesamtschullehrer, hat davon nichts zu spüren bekommen. Nachdem er nach zwei Hörstürzen und einem Nervenzusammenbruch ein halbes Jahr krankgeschrieben war, kam er zurück in den Schuldienst. Dort wurde er weder gefragt, wie es ihm gehe, noch führte der Schulleiter mit ihm ein Gespräch über seine berufliche Zukunft. Stattdessen wurde er gegen seinen Willen an eine Schule versetzt, an der er ausschließlich Vertretungsunterricht geben sollte. Alle Bitten um Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit blieben unerhört. Es folgte der nächste Zusammenbruch, die nächste Krankschreibung. Heute ist der 55-Jährige frühpensioniert und in therapeutischer Behandlung.
Immer wieder machen solche Fälle Schule: Hinter jeder zweiten Frühpensionierung unter Lehrern steht eine psychiatrische oder psychosomatische Erkrankung. Fragt man Lehrer, was sie an Schulen am meisten stresst, sagen sie zuerst: große Klassen und schwierige Schüler. Und kurz danach: Der fehlende Rückhalt durch die Schulleitung und die mangelnde Kommunikation mit Kollegen.
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