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Traurige Bilanz: schon vier Tote im Knast

Wieder hat sich in einem Gefängnis ein Inhaftierter umgebracht. Es ist bereits der vierte Tote in Berliner Haftanstalten in diesem Jahr. Die Grünen fordern bessere Suizidprophylaxe und medizinische Versorgung. Justizsenatorin: Wir tun, was wir können

VON PLUTONIA PLARRE

Es ist der dritte Todesfall in der Justizvollzugsanstalt Tegel in diesem Jahr. Gestern Morgen wurde ein 26-jähriger Häftling erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Nach ersten Erkenntnissen handele es sich um eine Selbsttötung. Die genaue Todesursache soll eine Obduktion klären. Untersucht wird laut Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) auch, ob es seitens der Anstalt Versäumnisse gab. „Auf den ersten Blick deutet aber nichts auf ein Fremdverschulden hin.“

Der Mann hatte bereits am 15. Februar einen Suizidversuch unternommen, der aber fehlschlug. Daraufhin sei er in einen besonders gesicherten Haftraum mit Monitorüberwachung verlegt worden, sagte Justizsprecherin Barbara Helten. Fünf Tage später, am 20. Februar, war die Rückverlegung in die ursprüngliche Zelle erfolgt, da nach Einschätzung eines Arztes keine Suizidgefahr mehr bestand. Zwischen dem Häftling und dem Arzt hätten mehrere Gespräche stattgefunden, so Helten. Auch die Vollzugsbediensteten und der Gruppenleiter hätten in den letzten Tagen keine Anzeichen für eine Suizidabsicht wahrgenommen.

Der 26-Jährige hatte in Tegel eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten wegen schweren Raubes verbüßt. Er stand kurz vor seiner Entlassung, die Ende 2007 erfolgen sollte. Deshalb hatte er die Anstalt auch schon mehrfach für ein paar Stunden verlassen dürfen. Als er bei seiner Rückkehr mit einer größeren Menge Haschisch erwischt wurde, wurde der Urlaub gestrichen. Außerdem wurde er auf die sogenannte Drogenabschirmstation verlegt. Auf dieser Station werden Häftlinge untergebracht, die im Verdacht stehen, im Knast gedealt zu haben. In der Nacht zu Montag hatte sich der 26-Jährige dort an einem Heizungsrohr erhängt.

Es handelt sich um den zweiten Suizid in einer Berliner Haftanstalt in diesem Jahr. Im Januar hatte sich ein Insasse im Moabiter Knast das Leben genommen. 2006 hatten sich zehn Häftlinge umgebracht.

In diesem Jahr sind außerdem zwei Tegel-Insassen gestorben. Ein 56-jähriger kranker Mann brach vor knapp drei Wochen während eines Gottesdienstes in der Gefängniskirche tot zusammen. Der Mann hatte zuvor mehrfach über unzureichende medizinische Versorgung geklagt. Vergangenen Dienstag war ein 62-jähriger Häftling wegen akuter Atemnot ins Humboldt-Krankenhaus eingeliefert worden, wo er am Donnerstag starb.

„Allmählich verfestigt sich der Eindruck, dass man die Berliner Knäste eher tot als lebendig verlässt“, lautet dazu der Kommentar des rechtspolitischen Sprechers der Grünen, Dirk Behrendt. Die Forderung der Grünen: eine bessere Suizidprophylaxe und eine bessere medizinische Versorgung in den Knästen. Haftverschonung dürfe bei schweren Krankheiten kein Tabu sein, so Behrendt.

Laut Justizsenatorin gibt es in der Haftanstalt Moabit eine aus medizinischem Personal und Justizbediensteten bestehende Arbeitsgruppe, die mit der Suizidprophylaxe befasst ist und dafür auch im Bundesgebiet Erkenntnisse sammelt. „Wir versuchen zu tun, was wir können“, sagte von der Aue der taz. Kurzschlusshandlungen seien aber nur sehr schwer zu verhindern.

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