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Israelhasser fressen Kreide

AL-QUDS-DEMO Während des Protests geben sich die Redner zahm. Ganz gelingt das nicht: Es kommt zu Handgemengen mit Gegendemonstranten und „Israel-vergasen“-Rufen

Antisemitischer Angriff?

■ Nach einer Anzeige wegen eines wohl antisemitischen Angriffs ermittelt der Staatsschutz gegen unbekannt. Ein 18-Jähriger sei am Donnerstagabend nach eigenen Angaben im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von einem Mann angegriffen und ins Gesicht geschlagen worden, teilte die Polizei am Freitag in Berlin mit. Der Angegriffene sei in eine nahe gelegene Synagoge geflüchtet und vermute, wegen seiner jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa, geschlagen worden zu sein. Der Täter sei unerkannt geflüchtet. (epd)

VON MATTHIAS BOLSINGER UND JASIN SAHRAOUI

Auf dem ersten Lautsprecherwagen des Al-Quds-Marsches verzieht Jürgen Grassmann das Gesicht, als ein junger Mann neben ihm ins Mikrofon ruft: „Alle Besetzer sind Schweine!“ Schnell unterbindet der Veranstalter der Demonstration am Freitag die Schweine-Parole. Nach einer Woche der Debatte über Worte will Grassmann jetzt keine Angriffsfläche bieten. „Wir sind keine Rassisten, keine Antisemiten“, hat er nur wenige Minuten zuvor in die Menge gerufen. Unterdessen läuft ein kleiner Junge durch die Menschenmenge bei der Kundgebung auf dem Ku’damm. Das Schild, das er trägt, zeigt eine Zeichnung Theodor Herzls, des Vaters des Zionismus: Er sitzt auf einem brüchigen Ei, mit Hakennase, spitzen Ohren, blutverschmiertem Bart und teufelsähnlichem Schwanz.

Seit 1996 findet in Berlin die zentrale Veranstaltung zum Al-Quds-Tag in Deutschland statt. Schon 1979 hatte der iranische Revolutionsführer Chomeini alle Muslime dazu aufgerufen, am letzten Freitag des Ramadan Solidarität mit Palästina zu zeigen. Radikale Muslime fordern an diesem Tag, Al-Quds, wie Jerusalem im Arabischen heißt, zu „befreien“, den jüdischen Staat zu zerschlagen.

Hitzige Debatten

War der Al-Quds-Tag in den vergangenen Jahren in Berlin nicht mehr als eine stets wiederkehrende Randnotiz, steht er in diesem Jahr im Fokus der Öffentlichkeit. Hintergrund sind die Eskalation des Nahostkonflikts und antisemitische Parolen bei Gaza-Demonstrationen in Deutschland, die bundesweit eine hitzige Debatte über das rechte Maß in Sachen Israelkritik ausgelöst hatten.

Noch bevor Grassmann die laut Polizei 1.200 Demonstranten zum Al-Quds-Marsch begrüßt, finden zwei israelsolidarische Kundgebungen auf dem Ku’damm statt. Rund 350 Menschen nehmen an der Versammlung des „Antifaschistischen Berliner Bündnisses gegen den Al-Quds-Tag“ am Adenauerplatz teil, darunter überwiegend Anhänger der linken Szene.

Nicht weit entfernt, auf dem George-Grosz-Platz, erheben laut Veranstalter 650 Bürger ihre Stimme für die Freiheit aller Christen, Muslime und Juden. Eher bürgerlich, eher gemächlich, unter dem Motto „Islamophobie ist genauso schlimm wie Antisemitismus“.

Die beiden Konfliktparteien werden beäugt. Nicht nur von der Polizei, die mit 1.000 Beamten vor Ort ist und die mitgebrachten Banner und Schilder kontrolliert, sondern vor allem durch die Medien. Sie haben das eigentlich beeindruckende Großaufgebot entsandt. Die internationale Presse wuselt durch die Demo. Kaum ein Quadratzentimeter, der nicht gefilmt oder fotografiert wird, keine Äußerung, die ungehört bleibt.

Und so registrieren die Journalisten die zahlreichen Handgemenge der Palästina-Sympathisanten mit Gegendemonstranten, die immer wieder an den Straßenecken auftauchen. Sie registrieren kurze „Israel-vergasen“-Sprechchöre und krude Verschwörungstheorien auf einer Zwischenkundgebung. Die angestrebte Charmeoffensive auf dem Ku’damm, laut Grassmann das „Zentrum des Zionismus“ – so richtig will sie dem Al-Quds-Marsch nicht gelingen.

Immerhin: Größere Zwischenfälle blieben bis Redaktionsschluss aus. Das war mehr, als man in der aufgeheizten Atmosphäre dieser Woche erwarten konnte.

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