: Gaza entzweit sich
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Ungeachtet der Anstrengungen seitens der politischen Führungen von Hamas und Fatah eskalieren die Straßenkämpfe im Gazastreifen. Mindestens neun Tote forderten gestern Gefechte unweit des Karni-Übergangs nach Israel. Fatah-Anhänger beschuldigten die Hamas, den Überfall auf das Trainingslager der Präsidentengarde geplant zu haben. Offenbar auf der Flucht vor den Angreifern gerieten zwei der Fatah-Sicherheitsleute zu dicht an den Grenzübergang. Die wachhabenden israelischen Soldaten machten die bewaffneten Männer aus und erschossen sie. Der Grenzübergang wurde anschließend geschlossen.
Einen Tag nach dem Rücktritt von Innenminister Kawasmeh ist die Zukunft der erst zwei Monate alten Regierung der Nationalen Einheit ungewisser denn je. Kawasmeh war aufgrund mangelnder Kooperation der Sicherheitsdienste mit seinem Reformplan gescheitert. Sein Ziel war es, die unterschiedlichen Einheiten zu konzentrieren und vor allem zu entpolitisieren. Auch Palästinenserpräsident Machmud Abbas verweigerte Kawasmeh den Wunsch, die Kontrolle über den Präventiven Sicherheitsdienst zu übernehmen. Dessen Kämpfer stehen loyal zum ehemaligen Sicherheitschef im Gazastreifen, Mohammad Dahlan.
Der Präventive Sicherheitsdienst ist an den Kämpfen in Gaza genauso beteiligt wie die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden. Im Auftrag der Hamas kämpft eine im vergangenen Jahr eigens aufgestellte 3.000 Mann starke Brigade Seite an Seite mit dem militärischen Flügel der Bewegung, Assadin al-Kassam.
Der praktisch seit dem Wahlsieg der Hamas vor gut einem Jahr andauernde Machtkampf zwischen Fatah und Hamas wird mit immer gefährlicheren Waffen ausgetragen. Bei dem gestrigen Überfall am Karni-Übergang wurden Mörsergranaten und Raketen eingesetzt. Seit dem Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen vor knapp zwei Jahren blühen Waffenschmuggel und -handel. Wie aus israelischen Sicherheitskreisen verlautet, wird derzeit eine erneute Großinvasion erwogen, um die Lager zu zerstören. Außenministerin Zippi Livni warnte vor einer Wiederholung des Fehlers im Libanon, wo die Armee sechs Jahre nach dem Abzug von den modernen Waffen der Hisbollah überrascht wurde.
Abgesehen von den Fraktionskämpfen führen zahlreiche Familienclans ihre Privatkriege im Gazastreifen. „Fast jede größere Familie in Gaza verfügt über ihre eigene kleine Armee“, schreibt Danny Rubinstein von der liberalen Tageszeitung Ha’aretz. Die Abgrenzung zu den politischen Kämpfern sei zum Teil fließend. Ein und dieselbe Person könne mehreren Organisationen angehören.
Einer neuen Umfrage zufolge befürwortet eine klare Mehrheit der Palästinenser die Fortsetzung der Nationalen Einheitsregierung. Rund 70 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Koalition, die gebildet worden war, um zum einen den innerpalästinensischen Konflikt beizulegen, zum anderen den internationalen Boykott aufzubrechen. Wie das Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrum (JMCC), das die Umfrage abhielt, gestern mitteilte, betrachtet die Mehrheit der Leute die wirtschaftliche Krise als größtes Problem. Erst an zweiter Stelle stehen drohender Bürgerkrieg und Anarchie.
Beides ist nicht voneinander zu trennen. Mit der Schließung des Karni-Übergangs, des einzigen Warenübergangs von und nach Israel, sind ganze Sektoren der Wirtschaft in Gaza gelähmt. Landwirtschaftsprodukte können nicht zu ihren Märkten, Rohmaterial nicht in den Gazastreifen transportiert werden. Innerhalb des isolierten Küstenstreifens sind bereits seit Sonntag Geschäfte und Schulen geschlossen.
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