: G-8-Protest für Spätbucher
VON FELIX LEE UND DANIEL SCHULZ
1. Besorgen Sie sich gute Schuhe. Auf seinem langen Marsch meditierte Hape Kerkeling über sein Verhältnis zum Allerhalter. Ihm gleichtun müssen es wohl viele G-8-Gegner, denn derzeit gibt es kaum noch Tickets für die Busse und Bahnen Richtung Rostock. Drei Sonderzüge schickt Attac, die Bahn selbst keine. Es soll noch wenige Tickets geben, sie kosten zwischen 30 (ermäßigt) und 55 Euro. Die Züge fahren allerdings nur hin, nicht zurück. Wer in Gemeinschaft nach Heiligendamm fahren will, kann sich bei den sogenannten Euro-Marschierern einreihen. Das sind Menschen, die freiwillig nach Heiligendamm laufen.
Sonderzüge: www.attac.de/heiligendamm07/pages/gipfelproteste-2007/sonderzuege.php, Euromärsche: www.euromarches.org
2. Organisieren Sie den Schulbus. Viele Kinder in Mecklenburg-Vorpommern müssen während des Gipfels nicht zur Schule gehen. Das eröffnet interessante Perspektiven für die leeren Schulbusse. Es werden zwar mehrere hundert Busse Richtung Rostock unterwegs sein. Sie fahren auch durch weniger bekannte Metropolen wie Artern und Wetzlar. Und im Gegensatz zu den Zügen kommt man mit ihnen auch hin und zurück. Allerdings glauben die Organisatoren, dass noch sehr viel mehr Busse gebraucht werden. Sie fordern deshalb Reisewillige auf, selbst welche zu organisieren. Eine Anleitung, wie man das macht, gibt es hier: www.heiligendamm2007.de/ index.htm
3. Fahren Sie bald los. Um noch einen Schlafplatz in den vier Protestcamps zu kriegen, ist Eile geboten. Immerhin werden bis zu 100.000 Demonstranten erwartet. Die Zeltplätze fassen aber insgesamt nur rund 14.000 Menschen. Sie stehen bereits ab dem 29. oder dem 31. Mai offen. 5.000 Plätze gibt es in Reddelich, westlich von Rostock. Das größte Camp steht mit Plätzen für etwa 6.000 Menschen auf der Industriebrache Alter Schlachthof in Rostock selbst. Mit Ostseeblick dürfen 1.500 Protestierer in Wichmannsdorf zelten. Wer etwas abseits des Trubels schlafen möchte, kann sich auch etwa 40 Kilometer vor Rostock niederlassen. Dort in Bützow steht das G-8-„Gute-Nacht-Camp“. Es wird von der kommerziellen Schweriner Agentur v.i.p. betrieben, die auch schon Konzerte gegen rechts organisiert hat. Wer keinen Zeltplatz mehr abkriegt – kein Grund zur Panik, sagt ein Camporganisator. Zur Not werden Wiesen und Plätze „angeeignet“.
4. Bringen Sie Fleisch mit. In den wahrhaft alternativen Camps in Rostock, Reddelich und Wichmannsdorf werden sogenannte Volksküchen die Protestler bewirten. Sie drohen „mit Erfahrungen im kollektiven Kochen“. Das aufgetane Essen wird immer vegetarisch, meistens sogar vegan sein.
5. Werden Sie dogmatisch. Getrennt marschieren, vereint siegen. Viele G-8-kritische Gruppen bestehen bei der Großdemo am 2. Juni auf einem eigenen Block. Da heißt es sich entscheiden: entweder als Reformisten-Weichnase beim Klimablock von Grünen und Umweltverbänden mitschlurfen oder als stolzer Linker in der Gesinnungsphalanx des „Revolutionär Sozialistischen Bundes/IV. Internationale“ die Fahne tragen. Wer wissen will, wo er politisch korrekt steht, muss beim politischen Zusammenhang seines Vertrauens anrufen. Eine zentrale Nummer gibt es nicht, denn die Organisatoren vom Demobündnis in Rostock wünschen sich eigentlich keine Protestghettos. Zur Demoroute:
6. Packen Sie Wörterbücher ein, vor allem für Swasi. Zum Gegengipfel in der Rostocker Nikolaikirche reist der internationale Protest-Jetset an. Mit Umweltschützern aus Swasiland oder dem UN-Berichterstatter über das Recht auf Nahrung kann man beim Alternativgipfel über die Rettung der Welt diskutieren.
Website des Alternativgipfels: www.g8-alternative-summit .org/de
7. Nehmen Sie bunte Verkleidung mit. Neben der großen Demonstration am 2. Juni gibt es noch viele kleinere. Schon einen Tag später wollen Gegner der Gentechnik von der Agrar-Fakultät der Uni Rostock hinausziehen nach Groß Lüsewitz, wo Genkartoffeln getestet werden. Alles natürlich möglichst fantasievoll, Kostüme sind selbst mitzubringen. Außerdem wird unter anderem gegen Militarismus und gegen die Benachteiligung von Migranten demonstriert. Um zu erfahren, wann was passiert, können Sie sich an die Infostände auf den Zeltplätzen wenden.
8. Nehmen Sie Ihr Konzertfeuerzeug mit. U2 gibt es echt noch. Und der Typ, der immer diese Brille aufhat, singt auch. Am 7. Juni spielen von Bono über Grönemeyer bis hin zu Seeed verschiedene Künstler auf dem Gelände der ehemaligen Gartenausstellung in Rostock. Während des G-8-Gipfels wird es aber auch andere Konzerte geben. Am 2. und 3. Juni spielen bei „Move against G 8“ unter anderem „Wir sind Helden.“ Außerdem versucht jeder Campbetreiber auf seinem Zeltplatz für Unterhaltung zu sorgen. Freuen Sie sich unter anderem auf die „Hedonistische Internationale“.
www.move-against-g8.de/pages /programm.php;
www.deine-stimme-gegen-armut.de/aktiv_Rostock.html
9. Denken Sie sich Decknamen aus. Das Blockieren von Straßen soll DAS Mittel des Protests werden. Gern würden die Globalisierungskritiker den Gipfel auf diese Weise lahmlegen. Weil die Spitzel der Polizei natürlich überall sind, raten Experten dazu, sich eine sogenannte Bezugsgruppe von Menschen zu suchen, die man gut kennt. Und nur denen darf man verraten, wann und wo … na ja, Sie wissen schon. Einen Decknamen brauchen Sie noch: zum Beispiel „Zahnbürste“. Oder „Operation Detlef“.
10. Seien Sie auch mal still. Wenn Sie die Polizei bei einer Demo festnimmt, empfehlen vertrauenswürdige Rechtsberater, keinerlei Aussagen zu machen. Für die Zeit des Gipfels haben verschiedene Organisationen wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein Büros in Rostock und Bad Doberan eingerichtet. Und falls man von der Polizei festgenommen wird, hilft der sogenannte Ermittlungsausschuss. Diese Gruppe versucht Festgenommenen zu helfen. Die Notfallnummer des Ermittlungsausschusses für den G-8-Gipfel: (0 35 82 04) 76 81 11.
11. Packen Sie für ein Überlebenstraining. Beispielsweise Sonnencreme mit höchstem Lichtschutzfaktor. Die Erfahrungen von bisherigen Protestcamps zeigen, dass es nicht gerade schattige Plätze sind, die einem als Demonstrant geboten werden. So auch dieses Mal. Auf der Rostocker Industriebrache gibt es keine Bäume. Die Wiese in Reddelich bietet bis auf ein paar Sträucher auch keinen schattigen Schutz vor der knalligen Ostseesonne. Und das lieben vor allem die Mücken.
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