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„Es herrscht mehr Klarheit“

Die Gesundheitsreform in den Niederlanden galt hierzulande als Vorbild. Die Trennung zwischen Basis- und Zusatz-Versicherung hat dort nicht zu einer Zweiklassenmedizin geführt, sondern zu mehr Transparenz, sagt Richard Grol

taz: Herr Grol, was wir noch vor uns haben, ist in den Niederlanden seit einem Jahr in Kraft: eine Gesundheitsreform. Was können die Deutschen von den Niederländern lernen?

Richard Grol: Ich denke, was die Deutschen lernen können, ist ein wenig Mut, das bestehende System zu verändern. Mehr marktwirtschaftliche Elemente müssen keinen Verlust an Solidarität bedeuten.

In den Niederlanden hatten wir vor der Reform ein ähnliches System wie die Deutschen: ein Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Versicherungen. Jetzt erhält jeder die gleiche Basisversorgung, und die Kassen arbeiten einheitlich auf privater Basis.

Führt denn diese Unterscheidung zwischen Basis- und Zusatzversorgung nicht erst recht zu einer Zweiklassenmedizin?

Das war die größte Befürchtung, aber bisher hat sie sich nicht bewahrheitet. Der Grund dafür ist, dass das Basispaket die medizinischen Leistungen zu 95 Prozent abdeckt. Die restlichen 5 Prozent sind überwiegend Luxusleistungen. Alle Kassen müssen das Basispaket anbieten und jeden Kunden akzeptieren. Darüber hinaus kann jeder Zusatzversicherungen abschließen: Hier können sich die Kassen ihre Kunden aussuchen.

Das Basispaket umfasst etwa keine zahnärztlichen Leistungen: Dafür muss man eine Zusatzversicherung abschließen. Ist das kein Problem?

Etwa die Hälfte der Patienten denkt, dass das Basispaket in dieser Hinsicht zu klein ist. Unter der konservativ-liberalen Regierung wurden die zahnärztlichen Leistungen ausgeklammert. Mag sein, dass die neue Regierung das Basispaket erweitert.

Die Niederländer finanzieren ihr Gesundheitssystem durch einen Mix aus einkommensabhängigen Beiträgen und festen Kopfpauschalen. Eine solche Kopfpauschale will die CDU nun auch in Deutschland einführen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Jeder Versicherte, ob arm oder reich, zahlt den gleichen Betrag von rund 90 Euro für die Basisversorgung. Menschen mit geringem Einkommen bekommen einen Zuschuss. Aber generell haben viele Menschen das Gefühl, dass Gesundheit teurer geworden ist.

90 Euro pro Monat klingt noch vergleichsweise niedrig. In Deutschland ist von 170 Euro die Rede!

Die Kopfprämie deckt ja nur einen Teil der Kosten. Ein weiterer Teil wird mit lohnabhängigen Beiträgen bezahlt, und zwar von den Arbeitgebern. Die dritte Quelle sind Steuern für die Behandlung schwerer chronischer Erkrankungen. Es ist also ein ziemlich komplexes System.

In ihrem Ziel ähneln sich die niederländische und die deutsche Reform: Sie soll für Qualität und Transparenz im Gesundheitssektor sorgen. Hat das funktioniert?

Es herrscht mehr Klarheit, da das Ministerium heute mehr und strengere Vorgaben für die Qualität der Behandlung macht als vorher. In dieser Hinsicht ist der Staat dominanter geworden, und das nützt vor allen Dingen den Patienten.

Es gibt allerdings auch viele Ärzte, die sich über die neue Transparenz beschweren. Sie müssen Rechenschaft über ihre Behandlungsmethoden und Ergebnisse ablegen. Da gibt es einige Spannungen, wer der Boss im Behandlungszimmer ist.

Qualität und Transparenz sind also auf den Staat und weniger auf den Wettbewerb zurückzuführen?

Die wettbewerblichen Elemente sind noch zu gering, als dass man ihre Auswirkungen ernsthaft spürt. Wettbewerb herrscht zwischen den Versicherungsunternehmen, die miteinander konkurrieren: Wer schließt die günstigsten Verträge ab? Das hat immerhin dazu geführt, dass in kürzester Zeit viele Kassen fusioniert haben. Ich erwarte, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Sehr wenig Wettbewerb existiert bisher unter Ärzten und Altenheimen, weil in diesen Bereichen Mangel herrscht. In Deutschland könnte ein Qualitätswettbewerb funktionieren, denn dort gibt es ein Überangebot an Ärzten.

Sie meinen, wir könnten auch mit weniger Ärzten eine bessere medizinische Versorgung sichern?

Ein gutes Rezept ist ein starkes Hausarztmodell wie in den Niederlanden. Jede versicherte Person hat ihren festen Hausarzt, der die Gesundheit im Blick hat. Das ist viel sicherer und billiger als das deutsche System.

Wie hat es die niederländische Regierung geschafft, ihre tief greifenden Änderungen gegen den Widerstand der Lobbygruppen durchzusetzen?

Die Reform wurde in einer Phase des politischen Umbruchs eingeleitet. Die Menschen haben sich stärker für andere politische Themen interessiert. Der größte Teil der Reform ist zwanzig Jahre lang diskutiert worden. Vielleicht war die Zeit reif für einen Wechsel.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN

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