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Unsichtbare Schatten

Mit einem Plakatwettbewerb weist das Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“ auf die prekären Arbeitsbedingungen illegalisierter Flüchtlinge hin. In Köln wurden jetzt die Gewinner präsentiert

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Der erste Blick stiftet Verwirrung. Über die Größe eines DIN A3-Plakats ziehen sich schwarze Linien, „No ID, but a face“ steht in dünnen Lettern zwischen ihnen geschrieben. Erst die Distanz bringt Erhellung – hinter den Linien wird das Gesicht eines afrikanischen Migranten erkennbar. Gestaltet hat das Plakat der Stuttgarter Designstudent Malte Reinisch. „Ein bisschen Feinarbeit in Photoshop war das, keine große Sache“, sagt er bescheiden. Doch die Balance von Botschaft und hintergründiger Abstraktion war richtig. Sein Poster wurde beim Plakatwettbewerbs des Kölner Netzwerks „Kein Mensch ist illegal“ prämiert.

1997 wurde „Kein Mensch ist illegal“ von Künstlern und politischen Aktivisten auf der Documenta X ins Leben gerufen. Seitdem artikuliert es die Belange der „Sans Papiers“, der illegalisierten Flüchtlinge, die in Europa leben, ohne die grundlegenden Rechte eines Subjekts wahrnehmen zu können. Doch während die Bewegung der Papierlosen schnell zum Liebling linker Theoretiker wie Michael Hardt und Toni Negri wurde, war ihr politischer Kampf weitgehend erfolglos. Über 20.000 „Illegalisierte“ leben heute allein in Köln.

„Wenn das Innere im Dunkel ist, wird das Äußere hell“, bemerkte Bertolt Brecht einmal. Auf den Fotos der Preisträgerin Nora Lohkamp sitzen die Porträtierten in starkem Gegenlicht und erzählen von den Widersprüchen ihrer Existenz. „Ich putze jeden Nachmittag eine Schule, aber meine Kinder dürfen sie nicht besuchen“, berichtet ein Familienvater und erzählt damit von der Schattenökonomie, deren Existenz die Illegalisierten sichert und die ihnen im Gegenzug häufig nicht mehr als das Lebensminimum bereitstellt. Sichtbar wird diese Arbeit in den Rücküberweisungen der Migranten an ihre Familien außerhalb Europas und auf dem Plakat der Kölnerin Birgit Caspari. Eine Familie versammelt sich postkartenidyllisch und in Augen schonenden Pastellfarben um den gedeckten Esstisch, während die schematisch schwarzen Arbeitskräfte den Raum reinigen.

„Die PreisträgerInnen standen vor einer schwierigen Aufgabe, das Unsichtbare sichtbar zu machen“, kommentiert der Wuppertaler Kommunikationsdesigner und Jury-Mitglied Uwe Loesch die Arbeiten. Eine notwendige Aufgabe zudem. „Kein Mensch ist illegal“ braucht Aufmerksamkeit für die Beratung und Vernetzung der verschiedenen Flüchtlingsinitiativen. Gleichzeitig läuft eine Unterschriftensammlung, mit der der Kölner Stadtrat aufgefordert werden soll, eine Studie zur Lage der Illegalisierten im Stadtgebiet in Auftrag zu geben und deren Existenz anzuerkennen.

Da ist es umso bedauerlicher, dass die Plakate nur schwer in den urbanen Raum gelangen werden. Die Ausstellung der Gewinner geht auf Wanderschaft durch die Republik, die preisgekrönten Motive sind nur auf Postkarten erhältlich. Professor Uwe Loesch weiß einen Ausweg: „Die besten politischen Plakate waren immer illegal.“

Infos: www.kmii-koeln.de

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