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Verschärfte Abwärtsspirale

SCHULREFORM I Das geplante „Qualitätspaket“ steht in der Kritik. Vor allem Schulen in sozialen Brennpunkten wehren sich gegen eine Veröffentlichung von Leistungsdaten

Weder können noch sollen alle Schüler die gleiche Norm erfüllen

VON OLE SCHULZ

Als Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) im November 2010 das geplante „Qualitätspaket“ für die Berliner Kitas und Schulen zur Debatte stellte, war angedacht, dass es Anfang 2011 auf den Weg gebracht werden sollte. Nun heißt es aus der Pressestelle des Bildungssenats, man sei noch „mitten im Diskussionsprozess“, während Zöllner selber davon spricht, dass zu Ostern mit einer überarbeiteten Vorlage zu rechnen sei.

Bildungssenator Zöllner scheint die zum Teil heftige Kritik unterschätzt zu haben, welche die von den anstehenden Reformen Betroffenen vorbringen. Die von der Senatskommission „Qualitätspaket“ vorgestellten Maßnahmen, die 29 Einzelpunkte umfassen, zielen neben der „Stärkung der Sprachkompetenz“ auch auf mehr Transparenz sowie stärkere Kontrolle ab.

Auf Widerstand stößt dabei vor allem die geplante Veröffentlichung schulischer Leistungsdaten – die jeweiligen Ergebnisse des Mittleren Schulabschlusses und des Zentralabiturs sollen künftig ebenso wie die Vergleichsarbeiten „Vera 3“ und „Vera 8“ sowie die Inspektionsberichte der Schulen im Internet einsehbar sein.

Gerade für Schulen in sozial schwachen Gebieten könnte das Vorhaben zu einer Abwärtsspirale führen, kritisieren diverse Interessenvereinigungen – vom Landeseltern- über den Landeslehrerausschuss bis zur Vereinigung der Berliner Schulleiter. Denn schon jetzt haben Schulen mit vielen Kindern aus armen Familien oft rückgängige Anmeldezahlen – dieser Trend könnte sich durch die Veröffentlichung von Rankings verschärfen.

Im Januar argumentierte auch die GEW-nahe Initiative „Grundschulen im sozialen Brennpunkt“ in einem offenen Brief in dieser Richtung. Ein Teil der Vorschläge sei „wenig erfolgversprechend, einzelne sogar für kontraproduktiv“, hieß es dort. Statt kostspieliger „Überprüfung und Kontrolle“ sollten die vorhandenen Geldmittel vielmehr „zugunsten der konkreten Arbeit an den Schulen“ ausgegeben werden. Schulen in sozialen Brennpunkten seien „unterfinanziert“, sagt Jürgen Schulte, der die Initiative koordiniert. Es fehle zudem an Personal und auch der bauliche Zustand vieler Schulgebäude sei häufig schlecht.

Die nun eingeforderte Wettbewerbsorientierung durch standardisierte Rankingverfahren und Kontrolltests stünde dem Ziel, eine inklusive Schule zu entwickeln, „diametral entgegen“, so Schulte. „Weder können noch sollen alle Schüler die gleiche Norm erfüllen.“ Worauf es hingegen ankomme, sei die Schaffung optimaler „individueller Lernentwicklungsmöglichkeiten“. Vor allem an Schulen mit einem hohen Anteil von Eltern, die Sozialleistungen beziehen, seien dafür sowohl ein erfahrungsorientiertes Lernen in kleinen Gruppen als auch ein „breites außerunterrichtliches kulturelles und sportliches Angebot“ unerlässlich. Von den dafür notwendigen personellen und materiellen Investitionen sei „in dem Qualitätspaket aber nicht die Rede“, beschwert sich Schulte.

Schulen mit einem überdurchschnittlichen Unterrichtsausfall sollen nach den Senatsplanungen ihre Vertretungsmittel nun sogar nicht mehr für außerschulische Projekte nutzen dürfen. Dabei seien Lehrkräfte an Brennpunktschulen „erheblichen Belastungen“ ausgesetzt, die sich im Krankheitsstand widerspiegeln, sagt Jürgen Schulte von der Initiative „Grundschulen im sozialen Brennpunkt“. Wenn man jetzt diesen Schulen die Möglichkeit nehme, Honorarmittel für kulturelle, soziale oder sportliche Angebote einzusetzen, sei das genau der falsche Schritt.

Ähnlich verhält es sich laut Schulte mit der Idee, künftig die Schulschwänzer-Quoten zu veröffentlichen. Jeder wisse, so Schulte, dass die Quote „viel mit den sozialen Rahmenbedingungen zu tun“ habe. Im Brief der Initiative heißt es dazu: „Selbst eine um 50 Prozent verringerte Fehlquote lässt die Brennpunktschule gegenüber Schulen, die mit dem Problem von Schulverweigerung nur marginal tangiert sind, als Verlierer erscheinen.“

Die Stellungnahme der Initiative „Grundschulen im sozialen Brennpunkt“ erinnert an den Brandbrief der Rektoren der 68 Schulen aus Mitte, zu dem auch arme Stadtteile wie Wedding und Moabit gehören, der vor zwei Jahren bundesweit Aufsehen erregt hatte.

Dass sich seither nichts verbessert habe, glaubt zumindest Thomas Schumann nicht. Schumann, der den Brief der Rektoren aus Mitte damals mit unterzeichnet hat, ist Leiter der Weddinger Herbert-Hoover-Oberschule. Sie ist seit einem Jahr eine Sekundarschule – und für Schumann sind die steigenden Anmeldezahlen ein Beleg dafür, dass die Umsetzung dieser neuen Schulform hier erfolgreich war. Dennoch spricht er von einem „mühsamen Prozess“ der Veränderung. Das ändere aber nichts daran, dass Reformen „notwendig“ seien. Angesichts der Berliner Haushaltslage müssten diese allerdings weitgehend „kostenneutral“ sein, so Schumann. „Doch wir müssen dem Neuen eine Chance geben, sonst wird am Ende noch die Rückkehr zum dreigliedrigen Schulsystem gefordert.“

Auch dem Wettbewerb zwischen den Schulen kann Schumann etwas abgewinnen. Schließlich ginge es nicht zuletzt darum, dass die Schulen ihr „eigenes Profil schärfen“. Wichtig sei aber, räumt auch Schumann ein, dass „sozial ausbalancierte“ Lösungen gefunden werden. Und dafür müssten die Schulen in sozial prekären Quartieren besonders gefördert werden.

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