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Sorgfältig ausgetrunkene Flaschen

BERLIN BÜLOWSTRASSE Einmal Feminismus und einmal Fluxus bitte: Lynn Hershman Leeson und Tom Marioni, beide aus den USA, werden nebeneinander vorgestellt in den Räumen von Aanant & Zoo und Kunstsaele

Bei Tom Marionis Aktionen geht es um die Nähe zum wahren Leben, bei Hershman Leesons kybernetischen Existenzen ist es schon längst verschwunden

VON SOPHIE JUNG

In der amerikanischen Konzeptkunst wurzeln beide: Lynn Hershman Leeson und Tom Marioni können beide auf ein fünfzigjähriges Wirken zurückblicken. Die Galerie Aanant & Zoo und die Kunstsaele in der Berliner Bülowstraße 90 bringen die beiden zusammen.

Das institutionelle Konzept hinter dieser Doppelausstellung ist ungewöhnlich: Schon seit 2010 teilen sich der Galerist Alexander Hahn und die Sammler Geraldine Michalke und Stephan Oehmen ihre Räumlichkeiten und stellen weitestgehend unabhängig voneinander Galerienprogramm, Werke aus den Sammlungen und Ausstellungen geladener Kuratoren vor. Trotzdem gibt es ein inhaltliches Einvernehmen: Alle drei fühlen sich der diskursorientierten Konzept- und Performancekunst verpflichtet. Wie auch aktuell, wenn zwei sehr unterschiedliche Größen der amerikanischen Konzeptkunst in dieser Beletage eines großbürgerlichen Schöneberger Apartmenthauses eine Gegenüberstellung finden.

Dada grüßt

In ihrer Arbeit mit grafischen Linien und Schwarz-Weiß-Fotografien erinnert die Collagenserie „Phantom Limb“ von Lynn Hershman Leeson an die Bildsprache der Avantgarde aus den zwanziger Jahren. Dadaesk hat sie Flachbildschirm, Fernsehmonitor oder eine Fotokamera anstelle des Kopfes auf den Rumpf von Frauenfiguren collagiert. 1985, 1986 und 2014 fertigte sie diese Arbeiten an, und je nach Entstehungsdatum setzte die Künstlerin ein anderes Medium der bildlichen Reproduktion auf die Körper. Das Bild der Frau jedoch ändert sich darauf nicht: jung, im schwarzen Minikleid, kniend oder liegend, Beine und Dekolleté aufreizend inszeniert, aber ohne Gesicht, das nunmehr vom Medium, von Monitor oder Kamera, seine Identität erhält.

Feministin, Medienkünstlerin, Autorin und Filmemacherin ist Lynn Hershman Leeson. In „How to Disappear“, ihrer ersten Soloausstellung in Berlin, zeigt sie bei Aanant & Zoo eine Auswahl ihres medienübergreifenden Werks. Das Verschwinden wird hier vielseitig thematisiert. Da geht es zum einen um das Unsichtbarwerden der Frau hinter dem Spiegel ihrer medialen Repräsentation, wie bei den Collagen oder der ebenso ausgestellten Fotografie „Twins“ von 1967 – totenmaskengleiche Wachsabbildungen erfundener Frauengesichter. Zum anderen formuliert sie auch die Frage nach dem Verlust der menschlichen Identität angesichts eines virtuellen und künstlichen Lebens in der Zeit von Social Media und Biotechnologie.

Schon ihre Collagenfrauen sind Mensch-Maschinen. In Performances, interaktiven Videospielen und Filmen erprobt Hershman Leeson die Realwerdung fiktiver Charaktere. Ein Kontaktbogen mit Fotografien einer etwa 30-jährigen Frau, die Krankengeschichte dieser offenbar Depressiven und das Transkript eines Gesprächs zwischen ihr und einem Mann dokumentieren in der Ausstellung die Existenzspuren einer Roberta Breitmore, einer erfundenen Person, die Hershmann in einem Perfomanceprojekt zwischen 1970 und 1979 in der wirklichen Welt hinterließ.

Ihre feministische Kritik beschäftigt Hershman Leeson weiter vor dem Hintergrund der Frage, welche menschlichen Identitäten sich in der Verbindung von Natur und Technik ergeben. Auf ihrem „Infinity Engine Wallpaper“ von 2014 bildet sie auf großformatigen Fotografien eine Taxonomie künstlichen Lebens ab.

Happening, Fluxus, vielleicht Arte Povera – ganz andere Schlagwörter kommen einem zunächst in den Sinn, betritt man die anliegende Ausstellung Tom Marionis. Eine Bar, über der der titelgebende Spruch „The Act of Drinking Beer with Friends is the Highest Form of Art“ angebracht ist, steht leer. Hier hat mal was stattgefunden – die bereits ausgetrunkenen Bierflaschen stehen sorgfältig aufgereiht in einem Regal gegenüber.

Vierzig Jahre an der Bar

Für seine Ausstellung „Actions“ in den Kunstsaelen hat der Künstler, Kurator und Gründer des Museums of Conceptual Art in San Francisco (1970) einige seiner Schlüsselarbeiten zusammengetragen. Die Bar ist seit 40 Jahren ein fortlaufendes Projekt. Zu ihr gesellt Marioni eine Reihe seiner Action Drawings. Große Kreise oder breite Linien, die er seit den 70er Jahren mit Blei- und Buntstift auf Wände zieht – ein sich wiederholender, sinnloser und gleichsam befreiender Kreationsprozess.

Bei „Birds in Flight“ von 1969 liegen zerknüllte farbige Papiere auf dem Boden, und dazu ist eine Anleitung zu lesen, die Papiere seien in Eile zu werfen, als wolle man einen Mülleimer treffen. Die Instruktion hat Marioni für sich selbst verfasst, in der Rolle als Künstler und in der Rolle als Kurator. Redundant, ironisch und aufs Einfache heruntergebrochen sind Marionis Arbeiten. Bei ihm geht es um die Nähe zum wahren Leben, bei Hershman Leesons kybernetischen Existenzen ist es schon längst verschwunden.

■ Lynn Hershman Leeson, How to Disappear, Aanant & Zoo (Bülowstr. 90); Tom Marioni, Actions, Kunstsaele. Mi.–Sa. 11–18 Uhr, bis 6. September

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