: „Eine Revolution im Denken und Handeln“
INTERVIEW BASCHA MIKAUND STEFAN REINECKE
taz: Herr Greffrath, könnten Sie mit einem Grundeinkommen von 1.000 Euro leben?
Mathias Greffrath: Nein. Wenn ich davon 200 Euro für die Krankenkasse und 400 Euro für Miete abziehe, komme ich auf Hartz-IV-Niveau.
Und Sie, Herr Engler?
Wolfgang Engler: Ja. Es wäre kein reines Vergnügen, aber es könnte gehen.
Sie sind also für ein Grundeinkommen?
Engler: Ein Grundeinkommen für alle ist nur sinnvoll, wenn es ein auskömmliches Leben ermöglicht – also soziale, kulturelle und politische Mitwirkung. Es müsste höher liegen als die 800 Euro, die der thüringische Ministerpräsident Althaus vorschlägt, von denen 200 Euro für die Krankenversicherung abgehen. Dann könnte es funktionieren.
Greffrath: Das glaube ich nicht. Auch bei 1.000 Euro bleiben, abzüglich Miete, Krankenversicherung und Kommunikation, wenig mehr als 10 Euro am Tag. Wenn man täglich einen Latte macchiato trinkt, sind die schnell weg.
Engler: Auf den Latte macchiato werden Sie verzichten müssen.
Greffrath: Aha. Das bestätigt meine Befürchtung, dass das Grundeinkommen hübsch klingt, aber eine Verarmungsstrategie ist.
Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro gäbe – wäre die Gesellschaft dann freier und offener?
Engler: Ein auskömmliches Grundeinkommen ist ein Freiheitsgewinn. Es erweitert unsere Freiheitsrechte um die Wahl, zu arbeiten oder nicht zu arbeiten. Das ist eine Revolution im Denken und Handeln.
Greffrath: Nein, das wird keine freiere Gesellschaft. Die strukturelle Arbeitslosigkeit wird sich verschärfen, die ökonomische und politische Spaltung wird zunehmen. Die Abgehängten werden mehr fordern. Die arbeitenden Mittelschichten werden antworten: Wir schaffen es nicht mehr, euch zu ernähren. Das Grundeinkommen wird den Populismus von unten und oben befördern.
Herr Greffrath, welchen Sinn macht es, Hartz-IV-Empfänger zu einer Arbeit zu zwingen, die es nicht gibt – statt ihnen das Geld ohne Zwang zu geben?
Greffrath: Es gibt jetzt schon junge Leute, die auf die Frage, was sie mal werden wollen, sagen: Hartz IV. Wenn Sie künftig einfach das Geld abholen und keiner mehr etwas von ihnen fordert, dann ist das verstetigtes Unglück.
Also sollen die Arbeitslosen Druck kriegen und ein schlechtes Gewissen haben?
Greffrath: Wir machen ihnen ein schlechtes Gewissen – und damit gleichzeitig uns, weil wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, sinnvoll zu arbeiten. Das Grundeinkommen hingegen ist nur ein bequemer Weg, all das vom Tisch zu haben. Damit sagen wir: Wir haben eine kapitalistische Konsumgesellschaft, in der die Überflüssigen mit dem Grundeinkommen abgefunden werden. Die Gesellschaft hätte zu diesen Leuten das Verhältnis einer humanitären Intervention. Man lässt sie nicht verhungern, aber mehr haben wir ihnen nicht zu bieten. Das ist ein Begriff von Gesellschaft, der uns hinter die Aufklärung zurückführt.
Engler: Ich sehe es anders. Seit 1789 existiert die Idee, ein Recht auf Arbeit in die Verfassung zu schreiben. Heute steht das Recht auf Arbeit zwar nicht in der Verfassung, de facto besteht aber eine Pflicht zur Arbeit. Das ist ein Widerspruch, den man auf zweierlei Arten lösen kann: Man kann die Ökonomie revolutionieren und die Produktionsmittel verstaatlichen – was wohl niemand will. Oder wir führen das bedingungslose Grundeinkommen ein und beseitigen die faktische Arbeitspflicht. Dann müssten Hartz-IV-Empfänger nicht mehr gezwungen werden, ihre Finanzen offenzulegen, ihr Leben durchleuchten und das Amt unter das Bett gucken zu lassen …
Greffrath: Vor allem würden wir endlich nicht mehr an unsere Unfähigkeit erinnert, soziale und kulturelle Gleichheit herzustellen. Und Verwaltungskosten sparen. Deshalb ist die FDP ja für ein Bürgergeld.
Also lieber Hartz-IV-Empfänger weiter kujonieren?
Greffrath: Nein. Aber mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wird das Elend auf Dauer gestellt und semantisch entsorgt. Die Politik wird endlich das Problem der Arbeitslosigkeit los sein, denn es gibt dann ja keine Arbeitslosen mehr. Damit ist das Problem, dass es eine wachsende Masse von Ausgestoßenen gibt, zementiert.
Herr Engler, sind Sie bei solchen Aussichten für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Engler: Im Unterschied zu früher bin ich für eine Bedingung …
Welche?
Engler: Bildung. Ich glaube, man blamiert das Konzept, wenn man es aus dem Stand einführt. Ein Grundeinkommen für Menschen mit schlechter Bildung ist keine kluge Idee. Die Parole „Nehmt den Leuten die Existenzangst, gebt ihnen ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann werden sie sich selbst motivieren“ kommt mir naiv vor. Nicht alle können einen Eigensinn in ihrem Dasein finden. Sie würden ihre Zeit verschwenden. Und wir, die ihr Grundeinkommen bezahlen müssen, würden sagen: Dafür? Bitte nicht!
Dann können wir das bedingungslose Grundeinkommen also von der Agenda streichen?
Engler: Nein. Es geht darum, Menschen so auszubilden, dass sie mit einem Grundeinkommen etwas für ihr Leben anzufangen wissen. In Kitas, Schulen, Familien und weiterbildenden Einrichtungen müssten Menschen für mehrere Existenzformen präpariert werden: eine, die um den Beruf kreist, und eine für ein Leben ohne Arbeit – weil Menschen nicht reinfinden in die Arbeitswelt, weil sie nicht können oder wollen. Bildungsbemühungen müssen die Voraussetzung für das Grundeinkommen sein. Denn diese Menschen müssen uns, den „Financiers“, ein Leben vorführen, mit dem wir wenigstens liebäugeln können.
Will sagen: Die Grundeinkommenempfänger dürfen ihr Leben frei gestalten – solange wir, die Mittelschicht, definieren was Freiheit ist.
Engler: Nein, ich sage: Die Menschen brauchen nicht nur genug Geld, sondern auch die Fähigkeit, mit der Zeit etwas anzufangen. Die Freiheit, zu arbeiten oder nicht zu arbeiten, bringt auch ein sozialmoralisches Problem mit sich. Wir können heiraten oder nicht heiraten, wir können konsumieren oder es lassen. Zu arbeiten oder nicht, ist ein Freiheitsrecht, für das ich streite. Aber ich kann nicht ausblenden, dass dabei die einen von der Arbeit der anderen leben.
Greffrath: Schauen wir das Problem grundlegender an. Die Wirtschaft ist so enorm produktiv, dass immer weniger Menschen und immer weniger Zeit gebraucht wird, um immer mehr zu produzieren. Das ist ein kultureller und zivilisatorischer Gewinn, denn er beschert uns mehr Zeit für alle. Die richtige Antwort darauf lautet Arbeitszeitverkürzung. André Gorz hat die Utopie entworfen, dass man, dank des technischen Fortschritts, ein Drittel der Zeit für Geld arbeitet, ein Drittel für sich selbst und ein Drittel kulturell oder ehrenamtlich für die Gesellschaft. In den 80ern haben sich Gewerkschaften und SPD für Arbeitszeitverkürzung engagiert. Das ist heute vorbei – auch weil die Gewerkschaften versagt haben.
Warum ist Arbeitszeitverkürzung der Königsweg und Grundeinkommen falsch?
Greffrath: Weil Menschen zwei quasi anthropologische Bedürfnisse haben: Sie brauchen Geld, um sich zu ernähren, und das Gefühl, von der Gesellschaft, von anderen, gebraucht zu werden. Arbeitszeitverkürzung war der ideale Weg, dies möglichst vielen zu ermöglichen. Jetzt haben viele den Eindruck, dass man dies in diesem globalen Thatcher-Kapitalismus, der nur Markt und Individuen kennt, nicht mehr verwirklichen kann. Deshalb erscheint das Grundeinkommen nun als Lösung. Das ist es aber nicht. Es ist eine wohlklingende Mogelei, eine Mittelschichtsidee, um sich die Arbeitslosen vom Hals zu schaffen.
Engler: Die Verkürzung der Arbeitszeit war eine sympathische, praktikable, zivilisatorische Idee. Es ist gelungen, die Arbeitszeit von 14 Stunden täglich im 19. Jahrhundert auf acht, in Frankreich auf sieben Stunden, zu verkürzen. Aber: Diese Kämpfe sind abgebrochen. Schuldzuweisungen nutzen da nicht viel. Deshalb muss man sich was anderes einfallen lassen.
Stimmt das? Hat der wilde, globale Kapitalismus der Politik der Arbeitszeitverkürzung für immer den Garaus gemacht? Oder kann sie wieder kommen?
Greffrath: Arbeitszeitverkürzung ist die richtige Idee. Sie wird wiederkommen, wenn wir sie propagieren. Wir müssten also eine Initiative für Arbeitszeitverkürzung mit einer Bildungsanstrengung enormen Ausmaßes kombinieren, um den Sockel von qualifizierter Arbeit in dieser Gesellschaft zu verbreitern. Denn es gibt auch wirtschaftspolitische Argumente gegen das Grundeinkommen. Die industrielle Weltmarktzukunft Deutschlands hängt von Qualität und avanciertester Technologie ab. Wenn wir alles dem Markt überlassen und den Rest irgendwie grundversorgen, dann könnten irgendwann Spitzenkräfte fehlen.
Herr Engler, Ihr Plädoyer für Grundeinkommen plus Bildung klingt vernünftig. Aber: Damit ist aus der Debatte die Luft raus.
Engler: Warum?
Wenn Sie erst das Bildungsniveau heben wollen, verschieben Sie das Grundeinkommen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Engler: Ja, gut, da ist ein Moment der Vertagung drin. Aber ich teile die naive, optimistische Anthropologie von Götz Werner nicht, der sagt: Befreien wir die Hartz-IV-Empfänger vom Arbeitszwang und schauen, was passiert. Ich fürchte, dass die Mehrheit Vorwürfe gegen die in den Hängematten residierenden Nichtskönner und Nichtstuer erheben würde, die man schwer abwehren könnte.
Wird es das bedingungslose Grundeinkommen geben? Und wie wird es aussehen?
Engler: Es wird kommen, aber auf eine Art, die vielen, die damit emanzipatorische Ideen verbinden, nicht gefallen wird. Es wird viel FDP und Althaus darin sein, also weniger Sozialstaat. Es wird kommen als Modell eines bescheidenen Lebens, in dem die Arbeit doch als Disziplinierungsmittel, als Gespenst im Rücken bleibt. Das ist nicht sympathisch, auch wenn es ein Anfang sein könnte, aus dem sich mehr entwickeln lässt.
Greffrath: Ein Grundeinkommen unter dem Druck der Ökonomie geht in die falsche Richtung. Es ist eine semantische Lösung und wahrscheinlich eine groß angelegte Subvention der Brauereiindustrie. Dagegen setze ich die aggressive Forderung nach mehr Bildung und Arbeitszeitverkürzung. Das braucht Zeit. Aber das Grundeinkommen würde zu einer Gesellschaft führen, die wir nicht wollen.
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