DIE GESELLSCHAFTSKRITIK: Kochtopf statt Kühlturm
WAS SAGT UNS DAS? Überall Berichte über Japan, Japan, Japan – und das ZDF strahlt Kochshows aus
Japan ist auf Platz 3 gerutscht, hinter die Landtagswahl und Gaddafi. Schon am letzten Donnerstag hatte man in einem Berliner Radiosender das erste Mal seit dem Tsunamitag einen neuen Aufmacher hören können: Merkel und die Einwanderung. Arme RedakteurInnen. Nichts ist schwieriger als festzulegen, wie wichtig eine Neuigkeit ist. Man kann doch nicht schlechte Nachrichten gegeneinander aufwiegen! Die Zahl der Toten gegen Kriegszustände? Parteipolitik gegen Umweltverschmutzung?
Auch im Bekanntenkreis gibt es rege Diskussionen darüber, viele haben ebenfalls mit Medien zu tun, vielleicht redet man zu solchen Zeiten auch besonders gern mit befreundeten KollegInnen. Die Redakteurin einer Nachrichtenagentur erzählt, dass sie während der Arbeit immer professionellen Abstand bewahren kann, aber auf dem Nachhauseweg mit dem Fahrrad jedes Mal an derselben Stelle anhalten und absteigen muss, oft um zu heulen.
Sie weist auf den Abstumpfungseffekt der Bilder hin, von denen es bei dieser Katastrophe so extrem viele gibt: Im Gegensatz zu manchen der kleinen und großen Revolutionen im Nahen Osten war man in Japan sofort live, hatte KorrespondentInnen im Einsatz, EB-Teams, ExpertInnen. Eine andere Redakteurin verteidigt die öffentlich-rechtliche Berichterstattung. Auf den Vorwurf, man habe Anfang letzter Woche, als es richtig losging, an einem Nachmittag zwischen „Rote Rosen“ in der ARD und „Die Topfgeldjäger“ im ZDF hin- und hergeschaltet, obwohl man verzweifelt nach neuen Informationen gesucht hatte, sagt sie, die Öffentlich-Rechtlichen seien ihrer Nachrichtenpflicht doch bis Oberkante Unterlippe nachgekommen, hätten alternierend Spezialsendungen gebracht, das Thema überall eingeflochten.
Und was sei denn dabei, auch an einem solchen Tag mal schwitzenden Männer-Frauen-Teams beim Kochen und einem fidelen Moderator beim Witzereißen zuzuschauen. Außerdem könne man, wenn man wirklich 24 Stunden durchgehend informiert werden wollte, doch auch die News-Spartensender gucken. Oder Internet.
Aber könnten das nicht auch diejenigen machen, die Lust auf dämliche Telenovelas, schale Kochwitze und jubelnde ZuschauerInnen haben? Und sollte nicht gerade das neuerdings lahmste aller Medien versuchen, mit vorhandener Kompetenz das wettzumachen, was es logistisch einfach nicht so schnell hinbekommt?
Abgesehen davon, dass die Redaktion von N24 im Gegensatz zu den NachtarbeiterInnen im ZDF abends nach Hause gehen darf und alte Bilder zeigt, während in Japan schon wieder weitergewühlt, -gekühlt, -gelöscht, -gemessen und -gebangt wird. Vielleicht ist es auch einfach die Art der Sendung: Die Kochshow „Die Topfgeldjäger“ wird zwar aufgezeichnet, vermittelt aber den Eindruck, live zu sein – jeden Tag geht es für die Kandidatengruppen einen Schritt weiter. Also hatte der anstrengende Oberkoch vermutlich schon irgendwann letzte Woche seine KandidatInnen angepampt, als die Erde noch ruhig war.
Wäre es eigentlich Panikmache, clever, tendenziös oder unangebracht, jetzt das Programm zu ändern und Filme wie „Silkwood“, „Das China-Syndrom“, „Der erste Tag“ oder „The day after“ zu zeigen? Wahrscheinlich alles zusammen. Jedenfalls müsste man sich beeilen. Sonst wollen alle Kriegsfilme sehen.
JENNI ZYLKA
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