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Der lange Weg zur Arbeit

Die Ausstellung „Arbeit ist anderswo“ stellt das Schicksal von Arbeitsmigranten vor. Bilder und Texte zeigen, warum Menschen an verschiedenen Orten leben und arbeiten. Der Ort der Schau – der U-Bahnhof Alexanderplatz – spiegelt die Problematik

16 MigrantInnen wurden von je einem Team aus AutorIn und FotografIn begleitet„Italien hat mich gelehrt, nie Schwäche zu zeigen“, sagt die Ukrainerin Halyna

VON NINA APIN

„Ciao. Sono Anna. In Italia. In Ukraina sono Halyna“ – „Hallo, ich bin Anna. In Italien. In der Ukraine bin ich Halyna.“ Die blonde Frau auf dem Foto hat seit sechs Jahren zwei Identitäten – je nachdem, wo sie gerade ist. In ihrer ukrainischen Heimat Ivano-Frankivsk ist die 48-Jährige Oma zweier Enkel und ausgebildete Lehrerin. Doch zu Hause gibt es für Halyma keine Arbeit, nur ein- bis zweimal im Jahr fährt sie mit dem Bus dorthin. Den Rest des Jahres ist sie Altenpflegerin im toskanischen Montalcino – und eine von über 100.000 UkrainerInnen, die sich in Italien als Billiglohnkräfte verdingen, um ihre zu Hause gebliebenen Familien zu unterstützen.

Halymas Geschichte ist seit heute im Rahmen der Ausstellung „Arbeit ist anderswo“ in einem Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Alexanderplatz zu sehen. 16 Beispiele für Arbeitsmigration innerhalb und außerhalb Europas werden dort, auf großen PVC-Planen gedruckt, ausgestellt.

Das deutsch-tschechische Ausstellungsprojekt entstand 2006 im Rahmen des Europäischen Jahres der Arbeitsmobilität. 16 ArbeitsmigrantInnen wurden von je einem Team aus AutorIn und FotografIn an ihren Heimat-und Arbeitsort begleitet. Die Wanderausstellung, die schon in Prag und im slowakischen Ostrava zu sehen war, will die schematisierte öffentliche Wahrnehmung von Arbeitsmobilität aufbrechen.

„Italien hat mich gelehrt, niemals Schwäche zu zeigen“, schreibt Halyna in der Ausstellung. „Ich habe gelernt, meine Zweifel und meine Unsicherheit für mich zu behalten, einfach meinen Job zu erledigen und dabei mein Ziel im Auge zu behalten.“ Vor sechs Jahren kam sie mit einem Touristenvisum nach Italien. Noch mindestens sechs weitere Jahre wird sie bleiben müssen, bis ihr Ziel erreicht ist: das Haus ihrer Familie abzubezahlen, damit es ihre Enkel einmal besser haben.

Die Fotos der Ausstellung zeigen Halyna bei einer Patientin, die Hochzeit ihres Sohnes, den Busbahnhof in Rom, wo sie als Neuankömmling schlief, bis sie Arbeit fand. „Wir wollen Einzelschicksale zeigen und damit klarmachen, was für unterschiedliche Gesichter Arbeitsmigration haben kann“, sagt die Fotografin Leona Goldstein, die Halyna drei Wochen lang mit der Kamera begleitet hat.

Die vorgestellten Lebens- und Arbeitsbiografien sind so verschieden wie die Beweggründe der Menschen, an einem Ort zu arbeiten und an einem anderen zu leben. Arbeitsmigranten, das sind nicht nur Geschichten von überqualifizierten Osteuropäern, die aus Geldnot im Ausland Niedriglohnjobs verrichten müssen. Die Beispiele reichen vom Minenexperten, der zwischen Tschechien und Nordschweden pendelt, bis zu einer französisch-englischen Akademikerfamilie, die sich im tschechischen Brno niedergelassen hat. „Politisch sind die Begriffe Mobilität und Migration extrem aufgeladen – positiv wie negativ“, beschreibt Kuratorin Stephanie Endter vom Osteuropa-Magazin Plotki den vorherrschenden Widerspruch. Ein Grafiker aus Barcelona, der ein Jahr lang in Berlin arbeitet, ernte für seine Mobilität gesellschaftliche Anerkennung. Doch osteuropäische Arbeitsmigranten, die in den Westen gehen, würden – egal ob EU-Bürger oder nicht – als Bedrohung wahrgenommen.

Eröffnung: 19 Uhr im Untergeschoss zwischen dem Durchgang von der U 8 zur U 5 unterm Alexanderplatz. Bis zum 29. März. www.plotki.net/wie

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