: Mitte bleibt Auslaufplatz
STADTENTWICKLUNG Die ideologisch aufgeladene Debatte über die Zukunft der Stadtmitte wird ausgebremst. Bis 2029 darf rund um den Fernsehturm nicht gebaut werden
Wollen wir wirklich den Neustädter Marktplatz, den Frankfurter Römer oder gar die Dresdner Frauenkirche als Berliner Rathausplatz des 21. Jahrhunderts? Wohl kaum. Artefakte einer historisierenden Rekonstruktion sind inszenierte Vergangenheit – nicht Bilder der Zukunft für ein öffentliches und großstädtisches Zentrum.
Man muss kein Anhänger des sozialistischen Städtebaus sein, hat dieser doch die Berliner Mitte radikal und teilweise schmerzhaft umgeschrieben. Doch die aktuellen Debatten, Schloss- und Alexanderplatz in ein nostalgisches Viertel – etwa aus neobarocken Eigentumsklötzchen, schicken Bürozeilen oder Läden – zu verwandeln, entpuppen sich im Kern als nicht weniger radikal: Privatisierung statt öffentlichen Eigentums, Kapitalismus statt Sozialismus lauten die Devisen. Und man will die Umgestaltung möglichst schnell und ohne Wenn und Aber. Nur: So wird die Stadt in der Berliner Mitte zur Beute.
Zeit ist ein guter Faktor
Schon darum ist ein 15-jähriges „Umgestaltungsverbot“ ein plausibles Instrument, den Rathausplatz, aber auch seine Perspektiven zu sichern. Solange es für den zentralen Standort keine wirkliche Idee, keinen nachhaltigen Plan für die Weite von der Marienkirche bis zum Fernsehturm gibt, sind die Fortschreibung des Bestands und die Erhaltung des öffentlichen Raums der richtige Weg.
Außerdem ist Zeit hier ein guter Faktor. Rund um den Platz wird massiv gebaut: am Alexanderplatz, am Humboldt-Forum. Da kann der Berliner Rathausplatz es sich erst einmal kommod machen und abwarten, wie er darauf reagiert. In der Zwischenzeit können wir BürgerInnen darüber trefflich streiten, was wir dort wollen. Und wenn dieses „Forum“ zum architektonischen Bild würde, wäre das sicherlich ein gelungenes Symbol.
VON UWE RADA
Rund um die Marienkirche und den Fernsehturm wird es auf absehbare Zeit keine Bebauung geben. Der Grund ist die Umgestaltung der dortigen Freiflächen mit Fördergeldern des Bundes. „Wenn Bundesmittel fließen, gibt es eine Umgestaltungssperre von 15 Jahren“, bestätigte die Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU), Claudia Hamboch. Die Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Stadtentwicklung hatten die Mittel in Höhe von 5 Millionen Euro aus dem Programm „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ abgerufen. Der Senat beteiligt sich ebenfalls mit 5 Millionen Euro. Bauherr ist das Bezirksamt Mitte, das eine Million Euro zur Verfügung stellt.
Sockelbauten freigeräumt
Bereits im vergangenen Jahr wurde die Freifläche um den Sockel des Fernsehturms aufgewertet. „Wir haben zwischen Bahnhof und Fernsehturm die Sockelbauten wieder frei geräumt“, sagt der Landschaftsarchitekt Rob Grotewal vom Büro Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, das aus einem Auswahlverfahren als Sieger hervorgegangen war. „Zur Karl-Liebknecht-Straße hin wurden Hochbeete mit Rasenintarsien und umlaufender Sitzmauer errichtet.“ Bislang wurden 6,2 Millionen der insgesamt 11 Millionen Euro verbaut.
In der Debatte über die Gestaltung der neuen Mitte sind damit erste Fakten geschaffen worden. Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher lobt die Umgestaltung der Landschaftsarchitekten: „Der Fernsehturm funktioniert nicht ohne den Freiraum und der Freiraum nicht ohne den Fernsehturm.“ Lüscher ist eine jener PolitikerInnen, die die Freifläche zwischen Fernsehturm und dem künftigen Humboldt-Forum als öffentlichen Ort erhalten wollen. Auf der anderen Seite stehen die Befürworter eines Wiederaufbaus der Berliner Altstadt. Zuletzt hatte sich auch die Stiftung Zukunft Berlin in die Debatte eingeschaltet. „Bevor wir die Frage der Bebauung klären“, sagte Stiftungsmitarbeiter Stefan Richter, „müssen wir zuerst über die Funktion diskutieren, die dieser Ort haben soll.“
Um es gleich voranzuschicken: Ja, Neubauten sollte man nicht mal so eben zwischen Tür und Angel planen. Ja, es ist nicht erst nach den Erfahren mit dem Tempelhofer Feld sinnvoll, sich anzuhören, was möglichst viele Menschen dazu zu sagen haben. Und: Ja, das dauert beides seine Zeit.
Aber eben nicht bis 2030. Bis dahin jede Veränderung in dem Gebiet um den Fernsehturm herum auszuschließen hemmt nicht nur jede Entwicklung in dieser Gegend. Solch ein Verbot ist zudem das Gegenteil von breiter Beteiligung. Denn nun können noch so viele Berlinerinnen und Berliner die Fläche in die eine oder andere Richtung verändern wollen – sie dürfen es nicht.
Bejammernswerte Gestalt
Der Senatsverwaltung und ihrer Baudirektorin dürfte nicht unbekannt gewesen sein, dass das der Preis für die Bundesgelder war. Dass sie das nicht lauter bekannt machten, ist kein guter Zug. Aber es passt in einen Trend, die Dinge möglichst auf die lange Bank zu schieben. Auch auf das Gebiet um den benachbarten Alexanderplatz in seiner bejammernswerten Gestalt bezogen, ist immer wieder zu hören: Nichts überstürzen, in Ruhe überlegen, sich Zeit nehmen.
Kein Problem – aber es sollte zumindest einen Zeitplan geben, der all den Gesprächen, Überlegungen und Diskussionsrunden eine Struktur und – journalistisch gesprochen – einen Redaktionsschluss gibt. Irgendwann muss etwas unter dem Strich stehen, in welche Richtung auch immer – und nicht erst 2030.
Damit soll keine Debatte abgewürgt werden: Aber irgendwann ist alles gesagt, bloß noch nicht von jedem. Wer in dem Gebiet unterwegs ist, sollte auch noch in absehbarer Zukunft die Chance haben, die angestrebten Verbesserungen mit eigenen Augen zu sehen.
Für das Umfeld der Marienkirche, das im Zentrum der Debatte um eine mögliche Bebauung steht, kommt der Appell aber zu spät. Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine Aufwertung der Freiflächen. Auch dafür hat das Büro Levin Monsigny vom Bezirk Mitte den Auftrag bekommen. Die unterschiedlichen Höhenniveaus von Platz und Kirche sollen durch eine Rampe entschärft und die Grundrisse der Häuser im Marienviertel mit Stahlbändern markiert werden. Weil auch dort Bundesmittel fließen, gilt auch für die Marienkirche ein 15 Jahre dauerndes „Umgestaltungsverbot“. Die Flächen rund um den Neptunbrunnen und vor dem Roten Rathaus, wo auch um die künftige Gestaltung gerungen wird, sind davon allerdings nicht betroffen.
Die Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Yzer wollte sich am Dienstag nicht dazu äußern. „Uns ist wichtig, dass die Aufwertung der Freiräume die Touristen anlockt“, sagte Claudia Hamboch der taz. Der Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), steht hinter der Aufwertung. „Die Debatte um die historische Mitte wird nicht in dieser Legislaturperiode abgeschlossen“, sagte er dem Tagesspiegel.
Der Fahrplan ist ohnehin auf längere Zeit angelegt. Nach einem „Beteiligungs- und Dialogprozess“ soll im kommenden Jahr erst einmal ein neuer Wettbewerb gestartet werden.
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