: Heidi wird hundert
JUBILÄUM
Als intrigante alte Schachtel Meta Boldt mischte sie auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters ihre Nachbarschaft auf. Am Silvesterabend 1966 wurde das Stück „Tratsch im Treppenhaus“ live im Fernsehen übertragen und die Hamburgerin Heidi Kabel spätestens da bundesweit bekannt.
Am Donnerstag, den 27. August, wäre die Volksschauspielerin, wie sie sich selbst nannte, 100 Jahre alt geworden. Im Hamburger Ohnsorg-Theater wird das mit einer „Heidi-Kabel-Nacht“ gefeiert. Nachmittags gibt’s das „NDR 90,3 Hafenkonzert“ mit Polizeiorchester und Heidi-Kabel-Liedern. Ab 20 Uhr wird das Theater zum Kinosaal. Gezeigt wird natürlich Kabel als Meta Boldt, original in Schwarz-Weiß.
„Es gibt Schauspieler, die gucken einen an, wenn sie auf der Bühne stehen“, versucht der Intendant des Ohnsorg-Theaters, Christian Seeler, die Bühnenpräsenz von Heidi Kabel zu beschreiben. Mehr als 65 Jahre spielte die Hamburgerin in mehr als 160 plattdeutschen Stücken bauernschlaue Mütter, giftige Hausdrachen oder schrullige Alte. „Das Publikum konnte sich mit ihr identifizieren“, sagt Seeler.
Dabei hätte Kabel ihre Schauspielkarriere nach 1945 fast an den Nagel hängen müssen. Sie und ihr Mann Hans Mahler waren Mitläufer im Dritten Reich und durften an der niederdeutschen Bühne nach Kriegsende nicht mehr spielen. Hilfe suchte Kabel bei den britischen Besatzern. Die hoben das Verbot wieder auf.
Kabel verleugnete diesen Teil ihres Lebens nicht, engagierte sich für Obdachlose und Asylbewerber. Das Bundesverdienstkreuz lehnte sie aus hanseatischer Tradition ab. Vielen Hamburgern gilt sie deshalb als Vorzeige-Hanseatin, eher kleinbürgerlich wie ihre Rollen, aber dabei humorvoll.
Trotz des großen Erfolgs sei Kabel immer bodenständig geblieben, sagt Seeler. „Das schönste war, wie sie junge Schauspieler unterstützt hat.“ Als er sich mit dem Singen auf der Bühne schwer tat, drückte sie ihm ein Sofakissen in die Arme und sagte: „So min Jung, stell dir vor, das ist deine Liebste“, erinnert sich Seeler gern. „Heidi Kabel war einfach ganz normal – bis auf ihr Talent natürlich.“
Traurig soll die Veranstaltung am Donnerstag im Ohnsorg-Theater nicht werden. „Wir lassen sie unter uns sein, durch unsere Geschichten.“ REA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen