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Klettern gegen die Bürgschaft

„Nein zum Ilisu-Staudamm!“ – mit dieser Forderung haben sich gestern Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in Berlin an die Öffentlichkeit gewandt. Die Zeit drängt, bis Ende März muss der Bundestag über eine 100-Millionen-Euro-Hermes-Bürgschaft für das Projekt in der Türkei entscheiden. Auch die Stuttgarter Firma Züblin würde an dem Tigris-Staudamm mitbauen, durch den der 9.000 Jahre alte Ort Hasankeyf geflutet würde.

Um Druck zu machen, besetzten Aktivisten von Weed das Brandenburger Tor. Während Industriekletterer, flankiert von Polizisten, hoch oben versuchten, ein Transparent zu entrollen, erläuterten NGO-Vertreter ihr Anliegen Pressevertretern, Touristen und Schulklassen. „Stellen Sie sich vor“, so ein Sprecher, „Berlins Mitte würde geflutet – das Brandenburger Tor, der Reichstag … und 50.000 Berliner würden nach Brandenburg zwangsumgesiedelt.“

Tatsächlich ist die Situation in der Region östlich von Diyarbakir unwägbar. 312 Quadratkilometer würden im Rahmen des Südostanatolienprojekts geflutet. Die internationale Kritik richtet sich vor allem gegen die Regierung in Ankara. Denn die Landrechte vieler Bauern sind ungeklärt, sodass sie keine Entschädigungen zu erwarten haben. Dass die Betroffenen nur unzureichend einbezogen wurden und die antiken Kulturdenkmäler der Region eine Umsetzung nicht überstehen würden, sind weitere Punkte. Schließlich führen die Kritiker – zu denen auch Bianca Jagger, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, gehört – an, dass es zu Konflikten mit den flussabwärts gelegenen Nachbarn Irak und Syrien käme. Sie fordern Gespräche mit den Anrainerstaaten.

Verdienen würden an dem Projekt neben Züblin auch türkische und Schweizer Firmen sowie die österreichische VA Tech Hydro. Erst im Dezember hat die Bundesregierung der Hermes-Bürgschaft grundsätzlich zugestimmt. Das Entwicklungshilfeministerium (BMZ) hat aber klargestellt, man wolle erst zustimmen, wenn alle Menschenrechts- und Ökologiefragen geklärt seien. Neben dem BMZ müssen auch das Auswärtige Amt, das Wirtschafts- und das Finanzministerium zustimmen.

Auf diese Entscheidungen wollten die Aktivisten gestern Einfluss nehmen. Irgendwann entglitt den Industriekletterern das 20 Meter breite Transparent, die Schulklassen johlten. Dass da irgendwo in Anatolien eine Umweltsauerei im Gange ist, wissen sie nun aber. AM

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