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Ins Reisebüro trotz Onlinekonkurrenz

URLAUBSBUCHUNG Die Propheten der All-inclusive-Digitalisierung haben sich geirrt: Kompetente Beratung ist gefragt

VON CHRISTINA FELSCHEN

Würde Neriman Fahrali sich an die Weissagungen der Trendforscher halten, bräuchte sie im Jahre 2011 keinen Reiseberater aus Fleisch und Blut mehr. Denn ihren Flug nach Australien mit Zwischenaufenthalt in Singapur und Hotels vor Ort könnten ihr auch die unzähligen Online-Anbieter vermitteln. Nur welche, wie zuverlässig – und zu welchem Preis? „Die neuen Online-Projekte wildern in den Revieren der klassischen Reisebüros“, warnte Die Zeit schon 1996. Seither machen Unkenrufe vom „Sterben der Reisebüros“ die Runde. Doch die Propheten der All-inclusive-Digitalisierung haben sich geirrt.

Fahrali ist Stammkundin beim Berliner Reisebüro Palatia Travels – für die Orakel der Neunziger ein Dinosaurier der Branche, dem Untergang geweiht: so ganz ohne Facebook-Account, ohne nennenswerten Internetverkauf und ohne Anbindung an eine Vertriebskette. Inhaber Ralf Daniel zuckt dazu nur mit den Augenbrauen, ohne seine Altrockerpose aufzugeben. Soll heißen: Er habe schon ganz andere Veränderungen erlebt. Und dann erzählt er, wie er als Lehrling Reservierungslisten für Propellermaschinen per Telex verschickt hat. Wie sein Vater eines der ersten Reisebüros nach dem Krieg gründete und seine Kunden mit „Glückskäferreisen“ ins nun nicht mehr feindliche Ausland schickte. Nach Telex und Butterfahrt sieht es bei Palatia Travels gewiss nicht aus: Die Homepage ist State of the Art und das Büro so gemütlich, dass selbst nach Ladenschluss Passanten durchs Fenster lugen. Das Palatia – „von Kreuzberg in die ganze Welt“ – ist eine Institution: Unter den Kunden sind einige der berühmtesten deutschen Bands und Schauspieler. Ihre Namen will Daniel nicht in der Presse lesen; die Prominenz schätzt Diskretion.

„Die Reisegestaltung selbst kann keine Maschine übernehmen“, betont Daniel. „Das erfordert Empathie, Fantasie und Erfahrung.“ Gerade hat er eine Südamerikatournee für eine bekannte Band organisiert: „Wenn die Gruppe täglich in einer anderen Stadt auftritt, muss alles klappen. Während einer Tournee hänge ich immer mit einem Ohr am Telefon, auch mitten in der Nacht.“ Zwischen Reisemanager Ralf Daniel und den Prospektverteilern einer vergangenen Touristikära liegen Welten.

Das Niveau ist gestiegen

„Bis vor wenigen Jahren besaßen Reisevermittler das Monopol, Flüge gegen eine Standardprovision zu buchen“, erklärt Tourismusexperte Roland Conrady von der Fachhochschule Worms, der seit Jahren Studien für den Deutschen Reiseverband (DRV) anfertigt. Doch als die Airlines 2003 die Provisionen strichen, mussten die Büros Servicegelder erheben. Seither buchen viele Privatkunden Flüge selbstständig. Was für viele Büros eine Pleitegarantie war, deutet Conrady als „heilsame Marktbereinigung“: „Das Niveau der Büros ist merklich gestiegen. Vom Markt verschwunden sind die, die sich bloß als ‚Einbucher‘ und nicht als Dienstleister am Kunden verstanden haben.“ Gut jedes dritte Reisebüro musste in den letzten Jahren schließen; und dennoch hat Deutschland mit 10.400 Büros eine der höchsten Reisebürodichten weltweit. „Da ist noch Potenzial“, sagt Conrady und meint: Potenzial zur Verdrängung kleiner, unspezialisierter Büros.

Das würde Barbara Scharfe gar nicht gerne hören. Die Gentrifizierung hat ihr Ein-Frau-Büro „Durchblickreisen“ bereits aus dem hippen Berliner Scheunenviertel vertrieben. Ihre Spezialisierung erregt zwar Aufsehen, aber wenig Nachfrage: „Orient und Oderbruch“ – in die arabischen Länder wagen sich gerade kaum Touristen, und wo das brandenburgische Oderbruch liegt, muss sie den meisten erst einmal erklären. Während Reisebüros früher oft eine Losbude für die nächste Reise „irgendwohin in die Sonne“ waren, bringt das Internet eine Spezies gut informierter Kunden hervor, die auf Augenhöhe mit den Beratern sprechen und genaue Vorstellungen von ihrer Reise haben. Immerhin neun Stunden lang informieren sich Touristen heute durchschnittlich im Internet über ihren Urlaub, fand eine aktuelle Studie des Verbands Internet Reisevertrieb e. V. (VIR) heraus. Genau hier sieht Conrady die Klippe für sehr kleine Reisevermittler: „Bei so einer Fülle von Detailwissen müssen sich die Berater ihren Vorsprung durch eine höhere Qualifizierung erst erarbeiten.“ Umso besser, wenn man die Welt untereinander „aufteilen“ kann wie die vier Mitarbeiter von Palatia Travels, die jeweils „ihren“ Erdteil betreuen und bereisen. Barbara Scharfe dagegen muss es alleine mit der ganzen Welt aufnehmen.

Doch selbst größeren Büros rät Conrady dringend, sich zu organisieren: „Nicht die anderen Reisebüros sind der Feind, sondern die großen Konzerne, die wahnsinnig viel Geld ins Internet stecken. Das müssen die Vermittler schnellstens einsehen.“ Seine Vision: Reisebüros könnten sich zusammenschließen, um nicht nur Technik und Internetauftritte zu teilen, sondern auch ihr Wissen. Dann könnte der Bali-Experte aus München in einem Hamburger Beratungsgespräch hinzugeschaltet werden und beim nächsten Mal revanchiert sich der Hamburger. Barbara Scharfe muss über die Vorstellung lachen: „Die meisten Reisebüros sind sich spinnefeind. Die ganze Branche besteht aus lauter Individualisten, die je ihre eigenen Pfründen retten wollen – leider.“

Leichter stornieren

In Conradys aktueller Studie antworten drei von fünf Reisebüros, dass sie das Internet als Konkurrenz und Bedrohung empfinden. Immerhin kletterte der Anteil der Online-Buchungen kontinuierlich auf 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2010, während die Büros ihren Umsatz von derzeit 20,4 Milliarden Euro kaum vergrößern konnten. Doch Conrady ist überzeugt: „Der Online-Markt wird die Beratung vor Ort nicht überholen.“ Für DRV-Sprecherin Sibylle Zeuch liegen die Vorteile von Reisebüros auf der Hand: „Wer eine Pauschalreise im Internet kauft, zahlt dort genauso viel wie im Büro um die Ecke und bekommt keine Beratung dazu.“ Zudem können Büros Reisen leichter reklamieren oder stornieren als der Einzelne – wenn mal wieder ein Vulkanausbruch, ein Schneechaos und eine Revolution in der arabischen Welt zwischen den Reisenden und die Reise tritt.

Palatia, die Namenspatin für das Kreuzberger Büro, war die Wiege der griechischen Kultur, die nach mehreren Zerstörungen immer wieder aufgebaut wurde. Womöglich liegt darin auch in Zeiten des Internets das Geheimnis des Überlebens: in der Kunst sich immer wieder neu zu erfinden.

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