… RENATE KÜNAST?: Auf den Konjunktiv verzichten. Fast.
Was täten wir, würden wir die Wahl gewinnen? Diese Frage spielt in Wahlkämpfen eine wichtige Rolle. Ginge es nach den Grünen, sollte sie so gar nicht mehr gestellt werden. Die haben nämlich ihr Wahlprogramm vom Nueva-Ausbildungsprojekt der Berliner Lebenshilfe in die sogenannte Leichte Sprache übersetzen lassen. Leichte Sprache hilft Menschen mit Lern- oder Leseproblemen beim Verstehen schwieriger Texte. Zu ihren Regeln gehört: kein Konjunktiv, kein Genitiv, kurze Sätze, zusätzliche Begriffserklärungen zum besseren Verstehen, große Schrift und erklärende Bilder.
Umso überraschender, dass das übersetzte Wahlprogramm, das die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast am Freitag überreicht bekam, gut 60 Seiten dünner ist als das schwierige Original. Die Erklärung, die ein Mitglied des sechzehnköpfigen ÜbersetzerInnenteams dafür lieferte, war charmant: „Wir haben erst alle Wörter gestrichen, die wir nicht verstanden haben, und nach einfacheren gesucht. Und was uns zu schwierig oder zu viel war, haben wir auch gestrichen“, so die junge Frau.
Wie alle im Übersetzerteam hat auch sie selbst Lernschwierigkeiten – das Wort Behinderung lehnen die Nueva-Leute als abwertend ab. In dem Projekt werden sie zu Fachkräften für Leichte Sprache ausgebildet, die als EvaluatorInnen etwa Menschen mit Behinderung zu Wohnheim-Angeboten und Werkstätten befragen sollen.
Das übersetzte Wahlprogramm erinnert auf den ersten Blick an Arbeitsmaterialien aus der Grundschule. Nur wenige Sätze sind mehr als eine Zeile lang. Und was im Original politisch-polemisch so klingt: „Die Energie von Christ- und Sozialdemokraten reichte nur für Wolkenkuckucksheime“, wird in Leichter Sprache zu: „Berlin macht keine gute Politik.“ Gentrifizierung?: „Manche Menschen müssen aus ihrer Wohnung ausziehen. Zum Beispiel, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können. In manchen Stadt-Teilen wohnen dann nur noch reiche Menschen.“ Wärmedämmung?: „Ist wie eine dicke Jacke“.
Es sei nicht leicht gewesen, das Programm zu übersetzen, sagen die Nueva-TeamerInnen: Manchmal seien sie fast verzweifelt am Politiker-Sprech. „Es soll uns Grünen helfen, künftig selber einfacher zu sprechen“, verspricht Künast. Wie schwer das ist, zeigt sich bei ihren Antworten in der Diskussion mit dem Nueva-Team. Die klingen nämlich gerne so: „Man hätte schon viel früher anfangen müssen.“
Das Programm in Leichter Sprache wollen die Grünen auf ihre Webseite stellen. Mit einem Video, das es in Gebärdensprache übersetzt. AWI Foto: reuters
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