piwik no script img

Verlust der Verliererschule

CSU-Chef Stoiber will die Hauptschule zur Ganztagsschule machen – gegen den Widerstand seiner Landtagsfraktion

Ganztagsschule für alle und überall? Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium? In Bayern, das bisher so viel hielt auf das unverbrüchliche Elternrecht und auf sein Schubladenschulsystem, scheint endgültig die Bildungsrevolution möglich. Zumindest wenn es nach Edmund Stoiber geht. Der bayerische Ministerpräsident hat vor einigen Tagen verkündet, dass er bis zum Jahr 2020 einige Milliarden in das „Mega-Thema“ pumpen will – vor allem in eine neue Hauptschule. „Eine offene Schule, mit der man bis zum Abitur gehen kann“, will der CSU-Chef.

Und auch von Ganztagsschulen redet der Bayern-Chef. Sämtliche Hauptschulen im Freistaat will er zu Ganztagsschulen umbauen. Ein Plan, der in der eigenen Partei auf Widerstand stößt. Was ist passiert? Eigentlich gar nichts Besonderes. Stoiber hat das getan, was er seit über einem Jahrzehnt am liebsten tut: auf Experten hören und dann große Reformen verkünden. Diesmal waren es nicht die Spitzenbeamten seiner Staatskanzlei, die ihm einflüsterten, sondern eine hochrangige Expertenkommission namens „Bayern 2020“. Im Oktober 2006 hatte Stoiber eine Handvoll erlesener Menschen zusammengeholt, darunter den Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ernst-Ludwig Winnacker und Bayern-Manager Uli Hoeneß. Das Zwischenergebnis der Studie: Bayern braucht Ganztagsschulen – und mehr Durchlässigkeit in die höheren Schulformen. Prompt verkündet der Ministerpräsident als Leitlinie, was bei der CSU noch immer als Teufelszeug verschrien ist.

Die Hauptschule soll berufsorientierter werden. Zwischen den Neigungssparten Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft sollen die bayerischen Hauptschüler künftig wählen – am Pult stehen dann auch Handwerksmeister und Unternehmer. Dazu kommt eine Reform der Beamtenbesoldung: Um die Lehrer an den Grund- und Hauptschulen zu mehr Leistung zu motivieren, werden dort so genannte Beförderungsämter eingerichtet.

Garniert wird das Plus an Praxis allerdings nur mit ein bisschen mehr „Offenheit“: Die Kinder sollen vermehrt bereits an der Hauptschule ihre Mittlere Reife erlangen – „M-Klassen“ heißt dieses Angebot, das derzeit in Bayern nur für etwa 20 Prozent der Hauptschüler reserviert ist und deswegen für viel Verdruss in den Nicht-M-Klassen sorgt. Von da aus geht's dann in die Ausbildung und womöglich auf die Berufs- oder Fachoberschule. Das wäre dann der Klettersteig zum Abitur. So der Plan des scheidenden Landesvaters.

Doch Stoibers Tage sind gezählt, er bekommt kräftig Gegenwind. Von den Grünen und dem Bayerischen Elternverband, die nicht glauben, dass so aus der Hauptschule eine nach oben offene Schule werden könnte. „Es gibt Pilotschulen, dort zeigt sich, dass der Großteil Ex-Gymnasiasten sind, die nur einen Umweg zum Abitur wählen.“

Vor allem aber merkt Stoiber, wie schwer er es in seiner eigenen CSU-Fraktion hat. Fraktionschef Joachim Herrmann ist stinksauer auf so viel moderne Kommissionsvorschläge. „Ohne uns läuft da nichts“, droht er, seitdem Stoiber von den neuen Bildungsreformen spricht, die seine Amtszeit krönen sollen. „Keine Zwangsbeglückung“ bei der Ganztagsschule, fordert Herrmann, der sich darunter vor allem eine Nachmittagsbetreuung durch „Pfadfinder und Jugendrotkreuz“ vorstellt.

Das Fachressort ist auf Stoiber-Linie: „Wo es gewünscht ist, wird eine rhythmisierte Ganztagsschule eingerichtet“, sagte Schulminister Siegfried Schneider (CSU) der taz. Rhythmisiertes Lernen, das heißt Unterricht, Erziehung und Entspannung wechseln sich über den ganzen Tag hinweg ab – das geht nur in gebundenen Ganztagsschulen. „Wenn die familiären und sozialen Verhältnisse nicht passen, muss der Staat in die Rolle des Erziehers schlüpfen – eben in Ganztagsschulen.“ MAX HÄGLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen