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Pflügers zweiter Frühling

Der CDU-Fraktionsvorsitzende wird immer mächtiger. In vielen Bezirken kommen Vertraute des Ex-Hannoveraners ans Ruder. Pflüger hat so freie Hand für sein Lieblingsprojekt Schwarz-Grün

VON MATTHIAS LOHRE

Schließen Sie einfach die Augen, und stellen Sie sich vor, Sie wären Friedbert Pflüger. Stellen Sie sich vor: Sie beginnen einen neuen Job, und kaum jemand mag Sie. Viele haben sogar versucht, Ihren Arbeitsantritt zu verhindern und reißen Witze über Ihr Auftreten, Ihr Privatleben und Ihr berufliches Können. Schließlich geht sogar Ihr Prestigeprojekt, die Abgeordnetenhauswahl, baden. Nichts scheint zu klappen. Und in diesem Moment stehen überall in Ihrer Umgebung Mitarbeiter auf und sagen: „Chef, Sie machen einen Superjob. Wir unterstützen Sie. Wohin soll die Reise gehen?“ Genau so ergeht es derzeit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden.

In den vergangenen Wochen hat Pflüger seine Macht in der Landespartei gefestigt. Elf der zwölf Kreisverbände haben ihre Vorsitzenden gewählt, sechs davon gelten als offene Pflüger-Unterstützer. Dieser Wandel ist alles andere als selbstverständlich, gilt die Berliner Union doch als Ansammlung selbstbewusster, aber provinzieller Bezirksfürsten. Wer welches Pöstchen bekommt, bestimmen die Kreisvorsitzenden in Kungelrunden, deren Mitglieder sich teilweise seit Jahrzehnten kennen. Pflüger stand dort außen vor und musste darauf vertrauen, dass seine öffentlichkeitswirksamen Auftritte als Fraktionschef und CDU-Präsidiumsmitglied sein politisches Ansehen mehren. Der aus Hannover Zugezogene konnte bislang nur auf die Unterstützung aus Neukölln und Marzahn-Hellersdorf zählen. Doch im Vergleich zu den mitgliederstärksten Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf haben diese kaum Gewicht.

Besonders freuen wird sich der neue Chef über die Unterstützung aus Tempelhof-Schöneberg. Dort ersetzt der junge Neuparlamentarier Florian Graf Pflügers Vorgänger als Fraktionschef, den glücklosen Nicolas Zimmer. Damit ist Pflüger bis auf weiteres einen Konkurrenten los, der nur zu gern zurück auf die Landesebene möchte.

Auch die Wahl von Exfinanzsenator Peter Kurth zum Pankower Kreischef ist mehr als ein Postenwechsel in einem 650-Mitglieder-Verein. Sie ist ein Signal, dass die lange ausgebliebene Liberalisierung der CDU Raum greift. Der bisherige Pankower Kreischef René Stadtkewitz protestierte lautstark gegen den Bau einer Moschee im Stadtteil Heinersdorf – zum Schaden auch der Union. Der Exfinanzsenator propagierte bereits die Spitzenkandidatur Pflügers bei der Abgeordnetenhauswahl, als seine Parteifreunde noch auf die Ankunft der Heilsbringers Klaus Töpfer hofften. Frustriert über Ränkespiele und Mittelmaß in seiner Partei, wandte sich Kurth vor einem Jahr seinem Managerjob beim Entsorgungsunternehmen Alba zu. Seine Rückkehr zeigt: Auch politisch gewiefte CDU-Politiker vertrauen nun auf den Erfolg von Pflügers Reformkurs.

Und was stellt Pflüger mit seiner gewachsenen Macht an? Der innenpolitisch Liberale hat freie Hand, den Grünen weiter Avancen zu machen, für Ansiedlungen von Solarunternehmen zu werben und nebenbei seine weltpolitischen Interessen aus Bundespolitikzeiten zu pflegen. Heute fliegt er für zwölf Tage mit der Konrad-Adenauer-Stiftung nach China. Thema ist nichts Geringeres als Europa in der globalisierten Welt. Dabei besucht er unter anderem Hongkong, Peking und Schanghai. Nach einem Jahr in der Berliner CDU stellen sich viele seiner innerparteilichen Kritiker sicher gerne vor, sie wären Friedbert Pflüger.

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