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Er eckig, ich rund

Was sollen wir berichten?

■  Der Wunsch: In der sonntaz berichten wir jede Woche über ein Thema, das ein Leser oder eine Leserin vorgeschlagen hat. Diesmal kam die Anregung von Norbert Schott, der mehr über die mögliche Einführung einer neuen Schrift wissen möchte – und über die Unterschiede existierender Schriften: „Als junger Vater finde ich das Thema interessant. Vielleicht sollte einmal an Beispielen aufgezeigt werden, woran die Unterschiede festzumachen sind“.

■  Der Weg: Senden Sie Ihren Wunsch an open@taz.de oder mit der Post an die tageszeitung, Annabelle Seubert, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin

Die Schrift meines Großvaters ist die spitzeste, die ich kenne. Sie hat viele Ecken und Kanten, aber kaum Kringel und Bögen. Und sie ist unglaublich regelmäßig, als hätte sie ein Computer fabriziert. Über die Schrift meines Großvaters habe ich mich immer sehr gefreut, auch wenn ich mir bei keiner anderen so viel Mühe geben musste, um sie zu entziffern. Wenn ich diese Schrift las, hatte ich entweder Geburtstag oder ein Zeugnis bekommen. Er schrieb mit schwarzer Tinte, oft auf beigen Karton. Die 50 Mark solle ich „ad libitum“ verwenden, nach Belieben. Wie seine Schrift schien mir auch seine Sprache aus einer anderen Zeit zu stammen, einer Zeit mindestens in Sepia, vielleicht sogar Schwarz-Weiß. Sie war voller Pennäler, Lederranzen und Schiefertafeln.

In der Schule lernten die Kinder Sütterlinschrift. Mein Großvater hat diese Sütterlinschrift im Laufe seines Lebens abgewandelt, seine „s“ sahen nicht aus wie „f“s. Aber er hat dieses Eckige beibehalten. Ich ging mit einem orangefarbenen Scout-Ranzen zur Schule. Die Schrift, die ich dort lernte war ziemlich rund, lateinisch. Meine eigene Schrift wurde noch viel runder, völlig ohne diese druckreife Regelmäßigkeit wie bei meinem Großvater. „Dissiplin“ hat er immer gesagt, er war Preuße. Irgendwann als Teenager habe ich geübt, zu unterschreiben, weil ich gesehen hatte, dass Erwachsene eine Unterschrift haben, die sie energisch unter wichtige Papiere setzen. Ich habe sehr lange geübt, aber nie sahen zwei dieser Unterschriften gleich aus. Seitdem schwingt meine Hand ganz vorsichtig die Buchstaben, wenn ich an der Supermarktkasse einen Bon quittiere. Damit die Kassiererin nicht denkt, ich hätte die EC-Karte geklaut.

Mein Großvater ist vor neun Jahren gestorben. Neulich habe ich in dem schweren dunklen Holzschreibtisch, an dem er immer saß, einen Block gefunden. Er hatte sich Zitate notiert, von Thatcher oder Liebermann. Am Ende, er war neunzig, zitterte seine Hand ein wenig.

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