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Von Pferden lernen

Eine neue Form des Manager-Coachings: In einem Reitstall in Bad Oldesloe studieren Führungskräfte die hypersensible Kommunikation der Pferde. Die Tiere sollen Menschen zum bewussteren Miteinander auffordern – nützlich für Betriebe

VON MART-JAN KNOCHE

Kalte Morgenluft weht durch die Halle. Die Nüstern der schwarzbraunen Stute Snowflake dampfen nach jedem Atemzug. Gemächlich trottet sie um den Parcours in der Hallenmitte – und mit ihr zwei Menschen in dicken Jacken. Ein Mann spaziert dicht hinter, eine Frau direkt vor ihr. Und instinktiv weiß die dreijährige Snowflake, was diese Anordnung bedeutet: Ein Leithengst treibt sie von hinten an und eine Leitstute führt sie vorne. Seit Jahrmillionen schon wandern die Pferdeherden in dieser Formation über die Erde.

„Pferde spüren Unstimmigkeiten zwischen der Körpersprache und der inneren Haltung sofort“, sagt Anja Kruse, Mitbegründerin der Firma Horsesense Training & Coaching in Bad Oldesloe. „Durch ihre äußere Haltung zeigen sie immer, was in ihnen vor sich geht.“ Auch in der Kommunikation mit Menschen nehme ein Pferd feinste Veränderungen war. „Es versucht sich sofort ranghöher oder -niedriger einzuordnen.“

Diese Grundeinsichten in das Wesen der Pferde bewogen die Kommunikationswissenschaftlerin Kruse und die Coachingspezialistin Anabel Schröder im Sommer 2005, eine „Akademie für pferdegestützte Persönlichkeitsentwicklung“ zu gründen. Die eine brachte Pferdewissen mit, die andere Praxisbezug und Coachingmethodik. Seitdem bieten sie Seminare für Führungskräfte aus der Wirtschaft an, um bei diesen eine neue Offenheit und Sensibilität für ihr Arbeitsumfeld zu wecken.

Welches sind die individuellen Stärken meiner Mitarbeiter? Was bewirken bewusst entwickelte Kommunikationsebenen und was irrationale Machtspielchen? Wo sind eigene Kompetenzlücken und wo unentdeckte Potenziale? Nur eine Minderheit der Führungskräfte beschäftige sich ernsthaft mit diesen Fragen, das sei ein großer Missstand, sagt Anabel Schröder, die viele Jahre Managerin war. „Die Arbeit mit den Pferden liefert die konkreten Antworten. Abweichungen zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild offenbaren die Tiere schonungslos.“

Denn die Authentizität des Verhaltens der Tiere sei unantastbar, ihre Wahrnehmung hypersensibel. Wer dominant auftritt, innerlich aber unsicher ist, werde kaum vor den Pferden eine souveräne Führungsfigur abgeben. Und eben so wenig schenken die Fluchttiere ruhigem Auftreten Vertrauen, welches Aggressivität unterdrückt.

Die Stute Snowflake bildet da keine Ausnahme. Anja Kruse und ihr Schüler Robert nehmen die Leitpositionen ein. In eine schmale Gasse aus vier Holzstangen wollen sie die Stute führen. Sie arbeiten ohne Gerte oder Zügel, nur die Körpersprache soll das Tier überzeugen. Das junge Pferd muss Vertrauen gewinnen und darf gleichzeitig nicht die Führungspositionen in Frage stellen. An dem einen Ende der Gasse ist als zusätzliche Irritation eine Plane ausgebreitet.

Aber Snowflake will nicht folgen. Auf die Authentizität und das Wechselspiel von Einfühlungsvermögen und Dominanz kommt es an. Anja Kruse und Robert besprechen sich kurz und wechseln die Plätze: Er spielt jetzt die Leitstute und sie die Rolle des treibenden Hengstes. Und siehe da: Snowflake vertraut den beiden und trabt zwischen den Holzstangen auf die raschelnde Plane.

Die Nachfrage nach einer neuen Führungskultur ist offenbar groß: Das Geschäft der beiden prosperiert so sehr, dass sie in Deutschland ein Netzwerk für Pferdecoaching aufbauen. In Ausbildungsseminaren geben sie ihre Erkenntnisse an Kollegen weiter und verleihen sogar Zertifikate mit eigenem Gütesiegel.

Mehr Informationen unter www.horsesense-training.de

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