: „Ich bin vor Scham fast vom Stuhl gefallen“
RUHM Noch vor ihrem „Tatort“-Debüt (So., 20.15 Uhr, ARD) fand Nina Kunzendorf sich nackt in „Bild“ wieder. Ein Gespräch über ihre neue Rolle und was die gerade verändert
■ Die Schauspielerin: geboren 1971 in Mannheim, spielte sie zunächst am Theater (Nationaltheater Mannheim, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Münchner Kammerspiele), bevor sie 2002 ihr TV-Debüt in dem Fernsehfilm „Verlorenes Land“ gab.
■ Die Preise: Für ihre darstellerischen Leistungen in den Filmen „Polizeiruf 110: Der scharlachrote Engel“ (2005) sowie „In aller Stille“ (2010) wurde Kunzendorf jeweils mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet.
■ Der „Tatort“: In „Eine bessere Welt“ (Buch und Regie: Lars Kraume) ermitteln Nina Kunzendorf und Joachim Król („Lutter“) am Sonntag zum ersten Mal für den Hessischen Rundfunk (HR) in Frankfurt. Ihre Kriminalhauptkommissare Conny Mey und Frank Steier lösen Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) ab. Geplant sind zwei Filme pro Jahr.
INTERVIEW SVEN SAKOWITZ
taz: Frau Kunzendorf, bisher haben Sie im Fernsehen vor allem verschlossene, geheimnisvolle und düstere Charaktere gespielt. Als neue Frankfurter „Tatort“-Kommissarin Conny Mey dürfen Sie von der ersten Szene an ganz anders sein, nämlich charmant, schlagfertig und zugänglich. Wie froh sind Sie, dass Sie sich von einer neuen Seite zeigen können?
Nina Kunzendorf: Das klingt ja, als wäre ich bislang wahnsinnig unglücklich mit meinen Filmen gewesen, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich habe tolle Rollen spielen dürfen, und wenn ich durch diese in einer Schublade gelandet bin, dann habe ich gerne darin gesessen. Aber weil ich meine Figur beim „Tatort“ von Anfang an mitgestalten durfte, habe ich mir zweierlei überlegt: Was für eine Art von Kommissarin würde sich ein bisschen absetzen von den Ermittlerinnen, die es im Fernsehen bereits gibt? Und wo habe ich ganz persönlich eine schauspielerische Neugierde?
Wie viel von der Rolle stand bereits fest, und welche Ihrer Ideen sind in die Figur eingeflossen?
Als ich zugesagt habe, war alles noch sehr offen. Vielleicht war ich ein bisschen naiv, aber ich habe mir gedacht, es wird schon gut gehen und meinen Wünschen entsprechen. Bei den ersten Treffen mit der Redaktion gab es zwar noch Ideen wie „alleinerziehende Mutter, die Job und Kindererziehung irgendwie hinkriegt“ – aber da habe ich Einspruch eingelegt, weil das für mich nichts Neues gewesen wäre. Mir war von Anfang an wichtig, eine saftige Figur zu spielen. Eine Frau, die ein bisschen zu schnell ist, ein bisschen zu direkt, die vorm Reinkommen nicht anklopft, die einen zu tief ausgeschnittenen Pullover trägt, die eher proletarisch ist und eine hohe emotionale Intelligenz hat. Das gibt auch die Möglichkeit, vom Versagen zu erzählen. Mir liegt ja überhaupt nicht daran, eine stets sonnige, allseits beliebte Frau zu spielen. Ich möchte auch gern irgendwann zeigen, wo ihre kumpelhaft-bodenständige Art nicht funktioniert, wo ihre Kleidung ein Problem ist oder so etwas.
Eine kumpelhaft-bodenständige Prolette mit emotionaler Intelligenz und tiefem Ausschnitt – was sagt die Figur der Conny Mey über den Stand der Emanzipation der Frau in Deutschland aus?
Ha! Toll! Ich hatte gehofft, dass so eine Frage kommt. Zunächst mal: Es gibt ja bekanntlich tatsächlich Frauen, die nicht besonders emanzipiert sind. Die mausimäßig ihre Stimme eine Oktave höher setzen, sobald ein Mann im Raum ist, nicht eigenverantwortlich sind und sich Männern unterordnen. Wenn man eine solche Frau spielt, heißt das ja nicht, dass man diese Haltung gut findet. Bei Conny Mey ist die Sache ohnehin noch mal ein bisschen anders: Ich rechne zwar damit, dass von einigen Frauen der Vorwurf kommt, die Rolle wäre frauenfeindlich und klischiert und reaktionär, weil die Kommissarin mit knallarschengen Jeans herumrennt und ihren Busen zur Schau stellt. Ich hätte aber auch im realen Leben kein Problem mit einer Frau wie ihr, weil Conny Mey so ein enorm starkes Selbstbewusstsein an den Tag legt. Wenn da eine toughe und kompetente Kommissarin ist, die gern zeigt, was sie hat und „Hab ich da was?“ fragt, wenn ihr jemand in den Ausschnitt starrt, dann ist das eine Form von Emanzipation, gegen die ich überhaupt nichts einzuwenden habe.
Ist es eine ökonomische Erleichterung, wenn man die Unterschrift unter den hochdotierten „Tatort“-Vertrag setzt? So übertrieben gut verdienen Schauspieler hierzulande ja nicht.
Ich finde, dass Schauspieler gut bezahlt sind. Da habe ich schon den Groll von einigen Leuten auf mich gezogen, weil man das anscheinend nicht sagen sollte. Aber ich fühle mich sehr gut bezahlt – was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass ich lange am Theater gearbeitet habe und mich an die Gagen dort gut erinnern kann. Wenn dann so ein Angebot für den „Tatort“ kommt, ist das Thema Geld natürlich ein Faktor – auch wenn mich die Anfrage zu einem Zeitpunkt erreichte, an dem es mir beruflich sehr gut ging. Ich könnte ohne weiteres zwei schöne Filme pro Jahr machen, die mir mein Leben finanzieren würden – das sage ich ganz selbstbewusst. Realistisch betrachtet ist es aber generell für alle Schauspieler so, dass die Angebote nicht dicker werden. Es werden weniger Filme gedreht, die Gagen eher gedrückt – und ich bin mit fast 40 in einem Alter, in dem die interessanten Angebote vermutlich bald rar werden. Solche Gedanken hatte ich natürlich im Hinterkopf bei meiner Entscheidung für den „Tatort“. Ich möchte diesen ganzen Vorgang gar nicht idealisieren und behaupten, dass ich schon immer „Tatort“-Kommissarin werden wollte, egal was passiert. Das wäre Quatsch. Im Moment fühlt sich diese Entscheidung aber gut und richtig an, nicht nur aus pragmatischen Gründen – ich freue mich wie Bolle auf den nächsten Dreh.
Der „Tatort“ erreicht bis zu zehn Millionen Zuschauer am Sonntagabend, Ihre Bekanntheit wird auf einen Schlag erheblich zunehmen. Haben Sie sich schon damit auseinandergesetzt, was jetzt alles auf Sie zukommt?
Der „Tatort“ bekommt eine Wahnsinnsaufmerksamkeit, und mit dieser Tatsache wurde ich ziemlich schnell konfrontiert. Schon lange vor dem ersten Drehtag wurde in den Medien ein Riesenbohei veranstaltet. Das ging von sachlichen Meldungen bis zu ganz unangenehmen Geschichten mit einem Nacktfoto von mir in der Bild-Zeitung und der Überschrift „Die scharfe neue TV-Kommissarin“. Da war ich mir für einen kurzen Moment sicher, dass ich mit dem „Tatort“ einen Riesenfehler gemacht habe.
Plötzlich wird die Person hinter der Rolle interessant, und das kann auf dem Boulevard sehr unangenehm werden.
Das war mir vorher bewusst. Ich denke aber immer noch, dass ich ein bisschen steuern kann, was über mich berichtet wird: Wenn ich ein Interview mit einem Boulevardmagazin mache, kann ich bestimmen, was ich erzähle und was nicht. Im Falle der Bild-Zeitung war das aber ein ganz anderer, ein ekelhafter Weg. Die haben ja gar nicht mit mir gesprochen. Der Aufhänger des Artikels war ein elf Jahre altes Theaterfoto von mir, auf dem ich nicht besonders viel anhatte. Ich hatte gar nichts mitbekommen, weil ich die Bild nicht lese. Irgendjemand rief mich ein paar Tage später an und informierte mich. Erst habe ich noch versucht, das locker zu nehmen, und Witze gemacht: „Ach, damals war ich noch knackig, das ist in Ordnung.“ Als ich mir das dann online angeschaut habe, bin ich vor Scham fast vom Stuhl gefallen, weil das wirklich ein aus dem Zusammenhang gerissenes und grauenhaftes Foto war, und dazu gab es einen ganz schmierigen Text, bei dem man hätte denken können, dass ich aus der Porno-Ecke komme. Das fand ich alles extrem widerlich. Ich habe echt nur gedacht: „Oh, Gott! Wenn das jetzt so weitergeht! Das ist ja alles furchtbar!“
Und jetzt haben Sie eine schwarze Liste von Zeitungen erstellt, mit denen Sie nicht sprechen?
Nein, das nicht. Das war ein kurzer, heftiger Ärger, aber die Geschichte verfolgt mich jetzt nicht mehr. Ich werde über Anfragen im Einzelfall entscheiden.
Sie leben mit Ihrem Lebensgefährten und Ihren zwei Kindern in der Nähe von München auf dem Land – sind Sie dorthin gezogen, um dem ganzen Trubel zu entgehen?
Wir leben da schon seit zwei Jahren – bei unserem Einzug waren Popularität und Medienrummel keine großen Themen. Aber jetzt bin ich genau aus dem Grund sehr froh, dort zu leben. Ich hoffe, dass die Menschen hier mich ein bisschen kennen und auch in Zukunft als relativ nahbare Frau wahrnehmen, die ihre Kinder morgens in Gummistiefeln zum Kindergarten bringt und dienstags beim Kinderturnen rumhopst. Es wäre schön, wenn sich in meiner ganz unmittelbaren Umgebung nicht so wahnsinnig viel verändern würde. Ich möchte nun aber auch nicht den Eindruck erwecken, Popularität an sich wäre mir ein Gräuel. Wenn jemand auf mich zukommt und sagt „Ich habe Sie im ‚Tatort‘ gesehen, und ich möchte Ihnen ein Kompliment machen, ich fand das ganz toll“, dann ist das doch etwas Schönes. Wenn ich aber nicht mehr in Ruhe mein Schnitzel in einer Gaststätte essen kann, weil alle Gäste gucken und denken „Die kenn ich doch“, dann könnte die Popularität vielleicht doch zum Problem für mich werden.
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