: Kreuzberger pfeifen auf Entertainment
Mit dem Bau des Büro- und Unterhaltungskomplexes Mediaspree wird Friedrichshain-Kreuzberg teuer und schick, befürchten Anwohner. Gestern demonstrierten sie für ein „Spree-Idyll für alle“. Bisher ist die Bevölkerungsstruktur des Bezirks stabil
VON FELIX LEE UND CHRISTINA HEBEL
Der Widerstand gegen Berlins größte Stadtumstrukturierung wächst. Rund 200 Demonstranten trafen sich gestern zu einem mehrstündigen „Kiezspaziergang“ in Friedrichshain-Kreuzberg, um gegen die geplanten Bauvorhaben entlang der Spree zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke zu protestieren. Auch die Grünen sehen den Umbau mit Sorge. Sie hoffen auf stabile Mieten.
„Kollektive Räume statt Investoren-Träume“ und „Eure Stadtentwicklung kotzt uns an“ war auf den Transparenten der Demonstranten zu lesen. Jens K. vom Initiativkreis „Mediaspree versenken“ kritisierte, dass die Bewohner nicht einbezogen wurden. „Das ist Planung von oben, die nur das Ziel hat, Geld zu machen“, sagte er. Statt „große Wohnsilos“ und „Büroblocks“ forderten die Mediaspree-Gegner „Spree-Idyll für alle“.
Mediaspree ist ein Zusammenschluss von Investoren, die den Bereich zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke aufwerten wollen. Die Bauvorhaben umfassen nicht nur eine Mehrzweckhalle für 17.000 Zuschauer des US-Investors Anschutz Entertainment Group und den Wiederaufbau der Brommybrücke für Autos, sondern auch Verkaufsflächen, zwei Bürohochhäuser und Luxuslofts mit Spreeblick. Auf Friedrichshainer Seite stehen die Bagger schon jetzt nicht still. An den alten Hafengebäuden werden die alten Gleisanlagen herausgerissen, die Halle ist bereits im Bau. Demnächst soll es auch am Kreuzberger Ufer losgehen. Der Neubau von Großprojekten ist dort zwar nicht vorgesehen. Dennoch sollen in den nächsten drei Jahren rund 3 Millionen Euro verbaut werden – zumeist zur Sanierung alter Fabrikgebäude.
Viele Kiezbewohner, die zum großen Teil der links-alternativen Szene zugehören, betrachten die Veränderungen skeptisch. Sie befürchten steigende Mieten. Die Gegend drohe zu einem „Ghetto von Reichen und Neureichen“ zu verkommen, hieß es in einem Redebeitrag auf der Demo. „Subkulturen müssen weichen oder fallen ganz weg“, sagte die 32-jährige Herta L. und verwies auf den Bauwagen-Platz „Schwarzer Kanal“, der bereits weichen musste.
Die Angst kann Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) zwar nachvollziehen. Anzeichen für eine Verdrängung der alteingesessenen BewohnerInnen gebe es bislang aber nicht. Seit 1994 beobachtet das Bezirksamt im Rahmen einer Milieuschutzsatzung die Mietentwicklung in den Kreuzberger Kiezen. Obwohl etwa die Schlesische Straße seit einiger Zeit einen enormen Aufschwung erlebe und der Leerstand zurückgegangen ist, „sind die befürchteten Entwicklungen bisher nicht eingetreten“, so Schulz. Er versicherte, dass das Bezirksamt die Mieten weiter genau im Auge behalten werde.
Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg sehen den umfassenden Umbau des Spreeufers ambivalent. Einerseits seien sie keine Freunde von Großinvestoren wie Anschutz, sagte Daniel Wesener vom Fraktionsvorstand der Grünen in der BVV. Andererseits konnte ihr Bürgermeister erreichen, dass die Uferpromenade öffentlich bleibt und nicht von den privaten Investoren genutzt wird. Bedauerlich findet Wesener den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg gesprengten Brommybrücke als Autostraße. Er hätte sich gewünscht, dass sie lediglich für Fußgänger und Radfahrer offen ist. Sie werde jedoch über EU-Mittel finanziert, sagte Wesener. Und damit werden nur Autobrücken gefördert.
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