Maydayaktivistin Gesa S.: „Mir geht es beim 1. Mai vorrangig darum, den Arsch hochzukriegen“
„Der Berliner Mythos um den 1. Mai interessiert mich nur wenig. Viel spannender finde ich die Frage, was aus den wütenden Momenten geworden ist, die sich in der Vergangenheit am 1. Mai entluden. Diese Zeiten gab es schließlich, als die Leute sagten: So geht es nicht, wir sind wütend, und das bringen wir auch zum Ausdruck. Die sozialen Proble- me sind ja nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Bloß scheint mir jetzt ein Gefühl von Frustration und Vereinzelung vorzuherrschen. Das finde ich schade.
Vergangenes Jahr war ich zum ersten Mal beim 1. Mai in Kreuzberg. Erst war ich auf der Mayday-Parade, abends in Kreuzberg unterwegs. Ich hatte einen schönen und sehr interessanten Tag, denn ich hatte das Gefühl, es gibt doch ganz schön viele Leute, die ähnlich unzufrieden sind über die gesellschaftlichen Missstände wie ich.
Bei der Mayday-Parade, die es vergangenes Jahr zum ersten Mal in Berlin gegeben hat, setzen wir den Fokus vor allem auf das Thema Prekarität. Wir glauben, es ist zunächst einmal wichtig, die unterschiedlich von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffenen Menschen zusammenzubringen. Kapitalismuskritik spielt dabei eine zentrale Rolle, und zwar eine, die an den konkreten Lebenssituationen der Menschen ansetzt. Mit der Parade wollen wir genau das erreichen. Die Rütli-Schule ist beim Mayday daher genauso Thema wie allgemein die konkrete Armut in Kreuzberg und Neukölln. Darüber hinaus sehen wir uns als Teil der internationalen Vernetzung rund um den Mayday. Es begann 2001 in Mailand und reicht von Helsinki bis Tokio.
Aber letztendlich geht es mir beim 1. Mai vorrangig darum, den Arsch hochzukriegen. Ob man das jetzt auf dem Mayday macht oder bei einer revolutionären 1.-Mai-Demo, ist erst mal zweitrangig. Als Kampftag gegen die Zumutungen des Kapitalismus bleibt der 1. Mai zentral. Zugleich ist er für mich ein Feiertag der kleinen Schritte auf dem Weg zur Überwindung dieser Zumutungen. Die Linke kann sich auch ruhig mal selbst feiern.
So wie der 1. Mai in diesem Jahr geplant ist, bin ich ganz positiv gestimmt. Die Linke hat sich den ganzen Tag zu eigen gemacht. Es kann rund um die Uhr demonstriert und gefeiert werden, und auch der Vorabend ist mit einer politischen Demonstration besetzt. Wir zeigen, dass der 1. Mai unser Tag ist, den wir gestalten. Toll wäre es natürlich, wenn es uns gelingt, das über diesen einen Tag hinaus häufiger zu tun.“ PROTOKOLL: FELIX LEE
Gesa S., 32, ist Mitglied der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) und organisiert den Mayday mit.
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