: Abu Ghraib liegt im Siegerland
MISSHANDLUNGEN In einem Flüchtlingsheim wurden Insassen vom Wachleuten gequält. Kritik an Betreiber und Landesregierung
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER UND ANJA KRÜGER
Feixende Sicherheitskräfte, die über einem am Boden liegenden Gefesselten posieren, ein Mensch, der gezwungen wird, sich in Erbrochenes zu legen – wer die Bilder aus dem nordrhein-westfälischen Burbach sieht, könnte meinen, Abu Ghraib liegt im Siegerland. Aufgenommen wurden sie jedoch nicht in einem irakischen Foltergefängnis, sondern in einem deutschen Flüchtlingsheim.
Öffentlich geworden waren die Übergriffe am Wochenende. Die Polizei hat eine Sonderkommission eingerichtet. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft Siegen laufen Ermittlungen gegen insgesamt sieben Beschuldigte. Fünf Wachleute sollen an der entwürdigenden Behandlung von Flüchtlingen beteiligt gewesen sein. Gegen zwei weitere werde wegen unerlaubten Waffenbesitzes ermittelt. Wie es heißt, sollen mehrere der Beschuldigten vorbestraft sein – unter anderem wegen Körperverletzung.
Die in einer früheren Kaserne untergebrachte Flüchtlingsunterkunft ist eine Einrichtung des Landes NRW. Betrieben wird sie von dem Essener Familienunternehmen European Homecare (EHC). „Wir verbinden wirtschaftliches Handeln mit sozialer Kompetenz!“, wirbt es für sich. Doch Menschenrechtsorganisationen klagen seit Jahren über die schlechten Zustände in den Heimen des Unternehmens.
EHC soll die vertraglich vereinbarten Betreuungsstandards systematisch ignorieren, es würden zu wenige Psychologen, Sozialpädagogen und Erzieher beschäftigt, hygienische Bedingungen sollen vielfach ebenso unzumutbar sein wie die Verpflegung. Auch andernorts soll es zu Misshandlungen gekommen sein. So gibt es Körperverletzungsvorwürfe auch aus dem EHC-Heim in Essen. „In den letzten 14 Tagen sind bei uns drei Anzeigen eingegangen“, so ein Polizeisprecher.
Gegründet wurde EHC 1989 unter dem Namen „Korte & Mrosek“. Auf dem Höhepunkt der hysterischen Diskussion über die „Asylantenschwemme“ entdeckte Firmengründer Rudolf Korte, der zuvor mit Baubeschlägen gehandelt und einem Schlüsseldienst betrieben hatte, die Flüchtlingsbetreuung als lukratives Geschäftsfeld. Er startete mit vier Wohnheimen in Hessen.
Anfang der 1990er Jahre expandierte Korte gen Ex-DDR. Ein Traummarkt: Nichts war unter den Wohlfahrtsverbänden aufgeteilt und die Verantwortlichen hatten keinerlei Skrupel, profitorientierte Privatfirmen zu beauftragen. Korte baute eine 750 Plätze fassende Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz auf, dann Unterkünfte in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. 2001 folgte die Umbenennung in European Homecare. Im selben Jahr übernahm der „sozialen Dienstleister“ in NRW drei Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes sowie zwei Wohnheime. Auch die Betreuung von Flüchtlingen im Transferbereich des Flughafens Düsseldorf und im Abschiebegefängnis Büren fiel an EHC.
Das Erfolgsrezept: mit Dumpingpreisen die Konkurrenz unterbieten. Das bewährte sich auch in Österreich, wo die Firma 2003 den Betrieb der vier größten Bundesbetreuungseinrichtungen übernahm. Eine Tagespauschale von 12,90 Euro hatte EHC dem Innenministerium angeboten. Ein Konsortium aus Caritas, Diakonie, Volkshilfe und Rotem Kreuz sah sich nicht in der Lage, unter 15 Euro zu gehen. Zuvor hatte der Satz bei 17 Euro gelegen. Das österreichische Engagement ist allerdings inzwischen beendet. 2010 kündigte EHC die Verträge. Da pro Fall abgerechnet würde, rentiere sich angesichts sinkender Asylbewerberzahlen das Geschäft nicht mehr, so die Begründung.
In Deutschland betreibt EHC mittlerweile rund 40 Einrichtungen. Über die Vorfälle in der Burbacher Unterkunft zeigte sich Geschäftsführer Sascha Korte „betroffen und schockiert“. Wie von der Bezirksregierung Arnsberg gefordert, sei die Zusammenarbeit mit der Nürnberger Wach- und Sicherheitsgesellschaft SKI bis zur Klärung der Vorwürfe beendet worden. Das gilt allerdings nur in NRW. Andernorts werde die Kooperation „aktuell überprüft“. Noch diesen Monat hatte SKI Wachleute für Burbach gesucht. Ein Bildungsabschluss sei ebenso wenig erforderlich wie Berufserfahrung, heißt es in der Stellenanzeige.
Am Donnerstag wird sich der NRW-Landtag mit dem Misshandlungsskandal befassen. Alle Fraktionen zeigten sich empört. Es handele sich um „eine unfassbare Schande für unser Land“, so CDU-Fraktionschef Armin Laschet. Innenminister Ralf Jäger (SPD) habe bei der Aufsichtspflicht versagt.
„Offenbar wurde hier mit der Not ein Geschäft gemacht, indem die Betreiber den Profit über das Wohl der Flüchtlinge gestellt haben“, so die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Monika Düker. Sie fordert, dass künftig nur noch Verträge an zuverlässige Betreuungsorganisationen vergeben werden, „die nachweislich alle Anforderungen an eine angemessene Betreuung erfüllen“.
Landesinnenminister Jäger entschuldigte sich bei den betroffenen Flüchtlingen. „Die Menschen, die Schreckliches erlebt haben, müssen sich darauf verlassen können, dass wir sie schützen.“ Gewalt gegen Asylsuchende werde nicht geduldet. „Gegen Sicherheitsunternehmen, die Geld für den Schutz unserer Unterkünfte kassieren und Kriminelle anheuern, werden wir hart vorgehen.“ Keine Aussagen machte Jäger zur weiteren Zusammenarbeit mit EHC.
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