piwik no script img

Timo unverkrampft

Der VfB in heikler Mission: Nach dem Sieg in Mönchengladbach sucht die Mannschaft die innere Ruhe, um am Ende mit dem Double dazustehen

AUS MÖCHENGLADBACH DANIEL THEWELEIT

Es war ein lustiger Abend, den die Delegation des VfB Stuttgart da am vergangenen Freitag im Düsseldorfer Intercontinental-Hotel verbrachte. Schalke 04 spielte in Bochum, während die Schwaben sich für ihr Auswärtsspiel in Mönchengladbach präparierten wollten, doch der übliche Ablauf geriet diesmal etwas durcheinander. Zwar trafen sich die Verantwortlichen zur „üblichen Bierrunde“, wie Sportdirektor Horst Heldt berichtete, die Spieler jedoch versammelten sich auf ihren Zimmern und starrten auf violette Zahlen. Weil die Nobelherberge über kein Abonnement des Bezahlsenders Arena verfügt, mussten sie auf Bilder vom aufregenden Revierderby verzichten und waren auf den Videotext angewiesen. Als das Ergebnis feststand, sind sie dann aber „alle mit einem Lächeln auf den Lippen ins Bett gegangen“, erzählte Heldt, und die Kühnen unter ihnen haben wohl vom Double geträumt.

Richtig konkret wollten sie die sich unverhofft auftuenden Optionen zwar nach dem 1:0-Sieg in Mönchengladbach tags darauf nicht ausführen, aber die eher vagen Andeutungen verrieten genug. „Wenn du solche Spiele gewinnst, kannst du ganz oben landen“, meinte Ludovic Magnin, und der extrem vorsichtige Trainer Armin Veh formulierte unter umständlicher Vermeidung verräterischer Vokabeln: „Wir werden das eine wahrscheinlich erreichen, das andere können wir erreichen.“ Hinter all diesen Aussagen steckt dieselbe Botschaft: Nachdem Bayern München abgehängt ist, spielt der VfB Stuttgart Fußball, um Meister und Pokalsieger zu werden. Diese Tatsache wird nur noch vom sanften Nebel der schwäbischen Zurückhaltung verschleiert.

Da jedoch niemand weiß, was das Verschwinden der Münchner Drohung im Rücken für Dynamiken auslöst, diskutierten sie nach ihrem 600. Bundesligasieg lieber die Gefahren der Situation statt die Chancen. „Wenn man unbedingt Meister werden will, dann verkrampft man vielleicht“, warnte Timo Hildebrand, nachdem erste Symptome dieser Krankheit schon in Gladbach zu sehen waren. Die Stuttgarter hatten träge wie ein Löwe in der Mittagshitze begonnen und hofften hernach, dass das am Wetter gelegen habe und sich nicht, wie Heldt befürchtete, „ein mentales Problem nach den Siegen im Pokalhalbfinale und gegen Bayern München“ einschleicht. Der VfB hatte in Gladbach auch das Glück, dass sie anders als Schalke am Freitag auf die Könige der Harmlosigkeit trafen. Das half enorm, und das wissen sie auch.

Schnell waren Rezepte bei der Hand, mit deren Hilfe nun die vielfältigen Kräfte, die ein befreites Fußballspielen stören, aus Stuttgart ferngehalten werden sollen. Der VfB befindet sich inmitten eines Balanceaktes zwischen dem Druck, den eine Chance des Lebens erzeugt, und der Pflege der Leichtigkeit. Veh, dieser an Coolness kaum zu überbietende Fußballtrainer, sprach von einem „Spagat zwischen Konzentration und Lockerheit“, zu dem sich seine junge Mannschaft nun verbiegen müsse, und Thomas Hitzlsperger meinte in Kenntnis der drohenden Gefahren: „Mal schauen, was die Woche passiert. Ich hoffe, dass wir jetzt nicht zu euphorisch werden und den Boden unter den Füßen verlieren.“

Egal, was der Grund für die mäßige Leistung war, sie werden ihn entschlossen bekämpfen müssen. Denn die Bürde des Meisterschaftsanwärters werden sie in den drei abschließenden Partien gegen Mainz, in Bochum und gegen Cottbus nicht mehr loswerden. „Wir haben sehr viel erlebt in dieser Saison“, warnte Hitzlsperger, „aber erreicht haben wir noch nichts, das ist der feine Unterschied.“

Vielleicht wäre da die Ansicht des Spiels der Schalker doch hilfreich gewesen. Denn die Gelsenkirchener sind ja nicht erst seit diesem Wochenende große Könner darin, genau an der Herausforderung zu scheitern, der sich nun der VfB stellen muss: die richtige innere Haltung im Meisterschaftsendspurt zu finden. Der letzte Meister, der als Außenseiter jenseits eines vermeintlichen Zweikampfes am Ende mit der Schale dastand, war 1992 der VfB Stuttgart.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen