piwik no script img

„Muslime, lernt die Freiheit des Einzelnen lieben!“

Viele muslimische Verbände sehen Necla Kelek als Feindin: Sie streitet für einen aufgeklärten Islam. Auf der zweiten Islamkonferenz werden sie aufeinandertreffen. Was sie sich davon verspricht

Necla Kelek, geboren 1957 in Istanbul, aufgewachsen in Deutschland, ist Autorin der Bücher „Die fremde Braut“ und „Die verlorenen Söhne“. Die Sozialwissenschaftlerin wurde als unorganisiertes Mitglied der muslimischen Community zur Islamkonferenz eingeladen FOTO: D. BALTZER/ZENIT

VON CIGDEM AKYOL UND JAN FEDDERSEN

taz: Frau Kelek, freuen Sie sich auf die zweite Islamkonferenz, die übermorgen stattfindet?

Necla Kelek: Ja.

Obwohl sie den Verbandsvertretern der deutschen Muslime nicht als Freundin gelten?

Wir werden uns nicht in die Arme fallen. Die Atmosphäre ist streitbar, aber freundlich.

Vielen Islamfunktionären gelten Sie nicht als Muslimin.

Weil sie nur diejenigen als Muslime anerkennen, die sie selbst als muslimisch definieren.

Und was sind Sie?

Ich bin muslimisch sozialisiert, ich habe eine muslimische Tradition, ich beschäftige mich mit der Religion. Ich bin nach gängiger Definition Muslimin.

Was unterscheidet Sie denn?

Ich trenne Religiosität, also die Suche nach Gott, von Religion und Alltag. Das ist die Differenz. Die Islamverbände vertreten Menschen, die auch im Alltag den Islam leben wollen. Herr Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats, sagt, ein Muslim muss nach Gottes Gesetzen leben, nämlich so wie Herr Kizilkaya meint, dass Mohammed im siebten Jahrhundert es vorgelebt hat.

Was bedeuten solche Aussagen für Sie?

Diese Muslime glauben, der Koran kommt von Gott und steht über den Gesetzen der Menschen. Sie akzeptieren deshalb unsere Gesetze nicht als letzte Instanz, sondern nur so weit wie sie der Scharia, die islamische Vorstellung von Recht und Gesetz, nicht widersprechen. Sie fürchten, wenn sie Gebote aus Koran und Sunna nicht einhalten, droht ihnen die Hölle.

Aber die Verbandsvertreter sagen inzwischen einheitlich, für sie gelte unsere Verfassung.

So sagen sie. Es bleibt ihnen ja auch nichts anderes übrig, wenn sie akzeptiert werden wollen.

Das müssen sie ausführen.

Ein Beispiel: Muslimische Mädchen sollen, so Herr Köhler, Sprecher des Koordinierungsrats, aus religiösen Gründen nicht mit Jungen am Schwimmunterricht teilnehmen. So versucht man, die Apartheit der muslimischen Mädchen zu manifestieren und religiöse Regeln in staatlichen Institutionen einzuführen.

Einige Verbände sagen, das Grundgesetz erlaube ihnen, ihre religiösen Vorstellungen zu leben.

Ja, wir haben Religionsfreiheit, aber auch das Recht auf Freiheit von Religion. Die Menschen dieser Gesellschaft haben sich ihre eigenen Freiheiten und Werte erstritten, das ist nicht wohlfeil. Diese Muslime bringen ihren Kindern bei, sich der islamischen Religion unterzuordnen und sich von den „Ungläubigen“ abzugrenzen. Das dient nicht der Integration, das ist auch nicht religiös, das ist Politik.

Was erwarten Sie von den Islamverbänden?

Sie müssen ihre Mitglieder und deren Kinder ermutigen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.

Leicht und hart gesagt, oder? Muslimische Eltern haben offenbar Angst um ihre Töchter.

Sie haben Angst, richtig, aber nicht um ihre Töchter, sondern davor, dass ihre Töchter selbstständig werden.

War das in den Fünfziger in Westdeutschland nicht auch so?

Mag sein, aber wir reden vom Heute. In Wahrheit haben viele muslimische Eltern nicht Angst, ihre Töchter zu verlieren, sondern nur, ihren religiösen Pflichten nicht gerecht zu werden.

Abermals: Unsere Verfassung gibt jedem das Recht, seine Religion zu leben.

Die Verfassung erlaubt nur, einen Glauben zu haben. Aber nicht, mit dem Glauben Innenpolitik zu betreiben, wie es die Islamorganisationen tun.

Was sehen Sie in den islamischen Verbänden?

Glaubensparteien. Sie suchen nicht nach Spiritualität, nach Gott – Gott steht für sie fest. Ihm haben sie sich unterzuordnen.

Wie meinen Sie das?

Das Bezeichnende ist, dass Gott nicht gesucht wird, sondern für sie bereits da ist – als Gesetzgeber. Ich habe als Muslimin nach deren Vorstellung nur im Koran nachzuschauen, um Gott zu dienen und ihm zu gehorchen.

Na und?

Ist das etwa nicht fatal? Wenn ich Gott als Wahrheit gefunden habe und alle, die nicht an ihn glauben, als Ungläubige bezeichne, dann hat das Auswirkungen auf uns alle. Mit Glaube, mit Individualität hat das nichts zu tun.

Das ist Ihre Auslegung. Andere bevorzugen andere Interpretationen des Glaubens.

Ich finde, es ist unsere Aufgabe, gerade die freiheitsliebenden Muslime vor Allmachtsfantasien religiöser Art zu schützen. Ein solches Verständnis von Religion wie das einiger Islamorganisationen dient nicht der Integration.

Integration ist doch ein Weg, nicht Selbstunterwerfung.

Wenn sie sagen, sie akzeptieren das Grundgesetz, dann kann man nicht parallel eine andere Gesetzeswelt im Sinne der Scharia schaffen wollen. Dann wird Religion Politik.

Was sagen Sie denn zur Politik der türkischen Verbände?

Sehr gefreut hat mich die Ankündigung von Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), dafür einzutreten, das Kopftuch generell bis 14 Jahre von den Schulen zu verbannen, und dass sie sich für eine Stärkung des säkularen Islam in Deutschland einsetzen wollen. Das ist die richtige Antwort darauf, dass die Ditip sich mit Milli Görüs über den Koordinierungsrat der Muslime verbandelt hat.

Was sind Sie für eine Bürgerin? Deutsche? Türkin?

Ich bin Necla Kelek, ich bin deutsche Staatsbürgerin und trage eine türkische Kultur in mir, die ich genauso liebe wie die deutsche. Ich bin im besten Sinne frei. Das verdanke ich diesem Land.

Sind Sie eine Missionarin?

Ich will nicht missionieren. Ich trete für die Menschen ein, die klar für sich sagen, ich will in Deutschland leben. Die sagen, ich bin zwar Türke oder Muslim, aber ich möchte über mein Leben selbst bestimmen. Vor allem Frauen möchte ich einen Weg aufzeigen.

Gibt es nicht auch andere Wege? Einer, der nicht der Ihre ist? Frauen, die ein Kopftuch tragen – und doch den Vätern keine Unterworfenen sein wollen?

Natürlich ist das möglich. Aber meine Frage bleibt dann: Läuft eine einem Stammesfürsten hinterher? Ich muss eine Frau, die sich freiwillig aus politischen Gründen verschleiert, doch nicht gut finden, genauso wenig wie ich eine Frau gut finden muss, die sich bei der NPD organisiert, nur weil sie es freiwillig tut. Und wenn eine junge Frau ein Kopftuch trägt, weil sie meint, sich durch Religiosität von der Bevormundung durch Vater und Brüder emanzipieren zu können, dann kann ich das feststellen, halte das aber nicht für emanzipiert.

Manche halten die Islamkonferenz für pure Show – weil eine Regierung in die Lebenswelten fremder Kulturen nicht hineinschauen kann.

Das weiß ich nicht. Aber ich bin froh, dass mit dieser Konferenz endlich die Muslime ernst genommen werden und sie nicht mehr nur alles unter sich verhandeln, sondern sich dem gesellschaftlichen Diskurs stellen.

Ist es dann sinnvoll, Vertreter von den Dachverbänden, also Lobbyisten einzuladen?

2. Islamkonferenz am Mittwoch in Berlin

Ins Leben gerufen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach dem Regierungsantritt der schwarzroten Koalition in Berlin. Eingeladen sind einerseits islamische Verbände wie die Türkisch-Islamische Union, der Zentralrat der Muslime, dem Verband der islamischen Kulturzentren wie der Islamrat der Bundesrepublik. Gleichberechtigt sitzen neben ihnen andererseits Einzelpersonen wie u. a. Necla Kelek, die Anwältin Seyran Ates, die Zahnärztin Ezhar Cezairli, die Schriftsteller Navid Kermani und Feridun Zaimoglu. Letzterer schlug jüngst vor, einer jungen kopftuchtragenden Frau einen Sitz zu geben. Die Idee Keleks, die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar mit Sitz und Stimme in der Islamkonferenz zu betrauen, ist nicht ohne Delikatesse: Özdamars 1992 erschienener Roman „Das Leben ist eine Karawanserei“ könnte, so wurde 2006 in Literaturzirkeln und Medien debattiert, Zaimoglu für seinen eigenen Roman („Leyla“) ausgewaidet haben – der Plagiatsvorwurf konnte nicht stichfest untermauert werden.

Es ist gut, dass sie dabei sind. Sie vertreten Strömungen, die es im wirklichen Leben gibt – aber auch, dass unabhängige Frauen wie Seyran Ates, und Ezahr Cezairli dabei sind. Alle werden jetzt vertreten und müssen sich auseinandersetzen, das ist das Neue.

Fühlen sie sich von den sogenannten Stammesführern ernstgenommen?

Ja. Ich glaube, ich habe mir den Respekt erarbeitet.

Woran merken sie das?

An der Art der Begegnung. Sie akzeptieren natürlich nicht meine Vorstellungen von Gott, aber als Mensch werde ich respektiert. Ich wäre gerne bereit, zum Beispiel mit Herrn Kizilkaya öffentlich über den Glauben zu diskutieren wie wir es intern in der Arbeitsgruppe getan haben.

Wäre das vor der Islamkonferenz möglich gewesen?

Auf keinen Fall. Das hat erst die Bundesregierung und die kluge Konferenzleitung ermöglicht.

Sie freuen sich auf die weiteren Diskussionen?

Sehr! Es ist für mich das Beste, was seit vierzig Jahren in Deutschland in Sachen Integration geschieht. Wir müssen jetzt gemeinsam einen Weg finden, wie wir alle in dieser Gesellschaft leben wollen.

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu möchte seinen Platz räumen, wenn eine fromme Kopftuchträgerin der Islamkonferenz beitritt. Eine gute Idee?

Es ist sein gutes Recht, Kritik zu üben und seinen Platz zur Verfügung zu stellen. Aber wie der Herr das inszeniert und meint, Seyran Ates und mich beleidigen zu müssen, das zeigt doch, dass er nur eitel ist und an der Sache kein Interesse hat. Ich hätte auch – wenn es denn um Vorschläge geht – eine Idee, wer ihm nachfolgen sollte: Emine Sevgi Özdamar, eine Einwanderin der ersten Generation, die mit „Das Leben ist eine Karawanserei“ den wohl besten Roman zur Migration von Türkinnen geschrieben hat. Dann hätten wir eine wirkliche Schriftstellerin in der Konferenz, die zudem weiß, wovon sie spricht.

Haben Sie es nicht manchmal satt, über Integration, Islam und Bürgerrechte reden zu müssen?

Nein. Ich bin froh, mitgestalten zu können.

Ist Ihre türkische Familie stolz auf Sie?

Meine beiden Brüder stehen hinter mir, was bei meinem älteren Bruder nicht immer selbstverständlich war. Inzwischen sind alle stolz auf mich.

Was wünschen Sie sich?

Dass die Muslime die Freiheit des Einzelnen lieben lernen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen