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Ein kleiner, dummer SiegKOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Hat der Bundespräsident dieser Republik, aus Furcht nicht wieder gewählt zu werden, Christian Klar nicht begnadigt? Hat Köhler den Drohungen der CSU nachgegeben, der der Rechtsstaat reichlich egal ist, wenn sie mit Populismus punkten kann?

Wir wissen es nicht. Doch wahrscheinlich ist dies nicht – denn Köhler hat oft und demonstrativ gezeigt, dass er ein eigenwilliger Kopf ist, der Zwist mit der politischen Elite nicht scheut.

Doch schon dass man diese Fragen mit Recht stellen kann, ist schlimm genug. Es zeigt, wie vergiftet das Klima noch immer ist, wenn es um die RAF geht. Denn CSU und Bild-Zeitung führen, ohne mit der Wimper zu zucken, dreißig Jahre alte Feindbilder ins Feld. Wer Beckstein hört und Bild liest, kann Zweifel haben, ob auf die Fortschritte der politischen Kultur wirklich Verlass ist, wenn es mal ernst wird.

Die Debatte um Gnade für Christian Klar hatte etwas bizarr Unangemessenes. Sie war überladen mit Rechthaberei und Symbolik. In der öffentlichen Optik ging es längst nicht mehr um Gnade für ein Individuum, sondern um viel mehr. Irgendwie schien es, als wäre Köhlers Gnadenerweis für Christian Klar eine zeithistorische Aussage – eine Art Schlussstrich unter die RAF. Umgekehrt schien das Nein zur Gnade für Klar auch eine politische Aussage zu sein. Ein Zeichen, dass der Staat in den 70ern alles richtig gemacht hat, dass die damalige Härte gegen die RAF-Gefangenen noch immer das einzig richtige Rezept ist. So feiern nun manche Rechtskonservative Köhlers Nein als Triumph eines starken Staates. Als Sieg über die RAF, noch mal.

Diese symbolischen Gefechte haben mit dem, um was es konkret geht, nicht viel zu tun. Christian Klar sitzt seit mehr als 24 Jahren im Knast. Das ist lang, länger, als ein Rechtsstaat es Menschen, die niemanden mehr gefährden, zumuten sollte. Klar wird in eineinhalb Jahren auf Bewährung freikommen. Noch 20 Monate, nach 24 Jahren. In dieser Zeit wird sich Klar langsam wieder an die Freiheit gewöhnen – und sich das Recht dazu gegen den ideologisch verbohrten Stuttgarter Justizminister Goll vor Gericht erstreiten.

Die Konservativen bejubeln nun einen Sieg. Lasst sie. Es ist ein kleiner, dummer, unnützer Sieg.

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