: Das brennt
LIEBE Adelaide liebt Lena. Die eine kommt aus Südafrika, die andere aus einem badischen Dorf. Dort leben sie, nachdem sie sich fanden
LENA BANNE
VON WALTRAUD SCHWAB (TEXT) UND STEFAN PANGRITZ (FOTO)
Adelaide Banne, die lange dachte, sie sei nach der australischen Stadt benannt, geht, als liefe sie auf Sand, in den man hart treten muss, damit er die Füße nicht schwer macht, die schmale Holzbrücke über den Klemmbach. Der fließt von den Westhängen des Schwarzwalds hinab. Alte Bäume, Linden, Kastanien, Ahorn in schwerem Grün, säumen die Ufer, ihre Kronen sind eins. Die Bäume machen den Bach, der so bachig nicht ist, der schon Fluss ist, das Rauschen im Stimmbruch, zum Schattentunnel. „Grün“, sagt die Frau, sei ihre Lieblingsfarbe.
Links in die Lindengasse biegt sie ein, an den Häusern vorbei, deren Innenhöfe sind blühende Gärten mit Dahlien, Fuchsien, Cosmeen, Sonnenhut. Oleander auch. Niemand ist auf der Straße, niemand schaut ihr nach. Niederweiler heißt der Ort. Bei Müllheim das Tal hoch. „Da hinten gibt es schöne Dörfer“, sagen Leute in den weniger schönen Dörfern in der Ebene näher am Rhein. Geranien hängen an den Brücken am Klemmbach, keine Blütendolde vertrocknet.
In Grün, diese Lieblingsfarbe, kann Adelaide Banne hier fallen. Die Viehweiden, die Weinberge, die Streuobstwiesen entlang des Wolfäckerwegs, der das Dorf mit Müllheim verbindet, ein zartes Band. Dahinter die aufsteigende Berge. „Blau“, sagt sie, mag sie auch. Aber Heimweh hat sie nach dem Braun der Savanne, da wo staubige Erde ist, blauer Himmel und überall Horizont. 360 Grad.
Wenn sie Heimweh nach diesem Horizont hat, der in Niederweiler von den Bergen des Schwarzwaldes verstellt ist, kocht sie feuriges Essen mit Chilis, die ihr die Mutter mitgab. Die Wärme, you know. Sie dreht die Lautsprecher hoch, hört Mafikizolo, hört Zola, hört Miriam Makeba, diese südafrikanische Heldin – Pata Pata – tanz tanz – geht raus in den Hof, wirft Bälle in den Korb, oben an der Stirnwand vor der Garage hängt er, stundenlang. Das Taktaktak des aufschlagenden Balls. So treibt sie das Heimweh aus ihrem Körper. „Es ist jetzt wie ein Gebet für mich“, sagt sie.
Zum Basketballspielen fand sie in Südafrika. Dort ist sie vor 25 Jahren geboren. Jemand zeigte ihr vor den Semesterferien, sie studierte Sozialarbeit an der Universität in Venda, wie man in den Korb wirft. In den Ferien übte sie jeden Tag, jede Stunde. Sie wollte treffen. Sie hat gemerkt: Korbwerfen hilft gegen Traurigkeit. „I was somewhat suicidal“, an Selbstmord hat sie damals gedacht, somewhat – auf eine Art. Jetzt spielt sie beim SV Herdern in der Oberliga. Herdern, ein Stadtteil des dreißig Kilometer entfernten Freiburg. Neun Mannschaften, sie sind an Fünfter.
Wenn Adelaide Banne trauert, lässt Lena Banne, die wie sie heißt, weil sie ihren Namen annahm, Adelaide in Ruhe. Seit 2012 sind die zwei Frauen verheiratet. Trauung war in Dänemark. Geburtsurkunde und Ausweis – dort reicht das.
Lesben in Südafrika haben nichts zu lachen. Sie dürften, wenn sie wollten, auch in Südafrika heiraten, ganz legal. Aber besser, sie sagen es niemandem, dass sie Frauen lieben. Zu viele von ihnen werden vergewaltigt, umgebracht. Zuletzt im August eine 19-Jährige. „Vergewaltigt, erstochen. Mit einem Schlauch im Mund wurde sie im Garten ihres Nachbarn gefunden“, da waren Adelaide und Lena Banne gerade dort. „Corrective rape“ heißt, was südafrikanischen Lesben droht. Das hält man im Kopf nicht aus: Vergewaltigung als Mittel, dir Lust auf Sex mit Männern zu machen. „Ich habe eine Freundin, die wurde vergewaltigt und wurde schwanger. Ich habe eine Freundin, die wurde vergewaltigt und nicht schwanger. Ich habe Freundinnen, die davongekommen sind. Mich wollte jemand vergewaltigen, um sich von HIV zu heilen. Das wollen die Leute in Afrika glauben, dass HIV weggeht, wenn man mit einer Jungfrau schläft.“ Eine Litanei, die niemand betet. Sie entkam.
Aber das hier wird keine Opfergeschichte, es ist eine Liebesgeschichte. Adelaide, diese Frau mit festem Schritt, benannt nach der Bürgerrechtlerin Adelaide Tambo, ist mit Lena aus Niederweiler verheiratet, der die südafrikanischen Freundinnen den Namen Thito gaben – die Eigensinnige.
Avocado
Bevor Adelaide Banne den Klemmbach überquerte, in die Lindenstraße einbog, die Dorfstraßen hoch, an der Bushaltestelle vorbei, zum Supermarkt, nach „Avocado und Mango“ sucht sie, saßen die beiden Frauen in der Küche ihres Hauses, das von außen sehr klein aussieht, hingeduckt in eine Gasse beim Bach. Innen ist es größer mit den vielen An- und Ausbauten, den Scheunen und Nebengelassen.
Adelaide Banne, agil, aber angespannt, saß am Tisch, ihre krausen Haare geflochten, ihre Haut durch die verschatteten Fenster noch dunkler. Vor ihr eine Serviette in den südafrikanischen Farben – Rot, Grün, Blau, Schwarz, Gelb, Weiß – das Bild eines Baobabbaums in der Dämmerung darauf. Ja, der Baum sei mächtig und dicht wie ein Dach, wenn man sich darunter stelle bei Regen, erzählt sie. Und Lena Banne, ihre Frau, glatte, kurze Haare, kompakt, muskulös, übergewichtig, mit Lippenpiercing, mit Tattoos an den Beinen, den Armen, den Geburtstag ihres Sohnes hat sie sich auf den Körper geschrieben, chinesische Schriftzeichen für „Feuer, Wasser, Stärke“, Lena Banne, eine, die nach außen geht, die kerlig aussieht und dabei weich ist, mütterlich, saß auf dem Boden der Küche. Auch sie studierte Sozialarbeit. Auf ihrem T-Shirt steht auf Englisch: „Ich kann vieles reparieren, nur Dummheit nicht.“ Es war Liebe auf den ersten Blick.
Lena Banne, die Deutsche, kam als Sechsjährige nach Niederweiler. Tausendundeinpaar Seelen. 25 Jahre ist das her. Ihr Vater, Anwalt, hat das Häuschen, in dem sie jetzt wohnt, gekauft. „Wir sind die Zugezogenen“, sagt sie. Das wird man nicht los im Dorf. Zudem war sie Waldorfschülerin, also komisch. „Ich war befreundet mit Leuten, die anders waren. Dem Sohn der alleinerziehenden Mutter, dem Sohn des Alkoholikers.“ Zugezogene, meint sie, werden angeschaut aber nicht beäugt wie „Alteingesessene“. Zugezogene bleiben auf eine vertraute Weise im Dorf fremd.
Mit 16 lernt Lena den Vater ihres Kindes kennen, heiratet, bekommt einen Sohn. Probiert das Familienmodell, bricht aus, wird Punk, merkt irgendwann, dass sie auf Frauen steht, trennt sich vom Mann. Das Tamtam soll sich in Grenzen gehalten haben. „Wir wussten, dass was fehlt und dass es das ist“, sagt sie.
Bevor Lena, die Deutsche, sich im März 2011 in Adelaide verliebte, auf einer Studienreise nach Südafrika, drei Tage war sie nur in Venda, lebte sie mit einer anderen Frau in Niederweiler. Die Beziehung war: „extrem“. Viel Wärme, viel Gewitter. Mit Blitz. Mit Donnerschlägen. „Das war so absurd“, sagt Lena Banne, „im Studium sprachen wir über ungute Beziehungen und hier …“ Sie muss den Satz nicht beenden.
Und dann? Dann Adelaide. Als sich die zwei Frauen in Venda trafen war sofort klar: Das brennt. Alle drum rum hätten es auch gemerkt, diese Spannung, diese Explosion. Die Kommilitonen räumten am dritten Abend, dem letzten in Venda, ein Zimmer frei für die zwei. „Wir haben die ganze Nacht geredet.“
Tags darauf musste Lena Banne nach Soweto. Eine Woche später ging ihr Flug zurück. Sie verschob ihn, Adelaide kam, drei Tage gehörten ihnen. „Magische drei Tage“, sagt die eine. „Genug um zu wissen: Das ist es“, die andere.
Danach telefonierten sie drei Monate lang jede Nacht. „Ich stand neben mir“, erzählt Lena, die in den Abschlussklausuren steckte. Sie fasst es so zusammen: „Tagsüber über den Büchern eingeschlafen, nachts telefoniert. Bis morgens um fünf.“ Worüber habt ihr gesprochen? „Die halbe Zeit haben wir geschwiegen“, sagt Lena, die Deutsche. „Mein Englisch war schlecht. Ich habe um Wörter gerungen.“
Lena ist die beredte, aber Adelaide ist die, die Sprachen spricht. Außer Sepedi, ihrer Muttersprache, noch zehn afrikanische Sprachen, Englisch und Afrikaans. In Turbogeschwindigkeit hat sie Deutsch gelernt.
Im Sommer 2011 kam Adelaide nach Niederweiler. Ein Besuch. Ihre erste Reaktion: „Hier ist alles sauber.“ Ihre zweite: „Hier reden die Leute nicht miteinander.“ Dann, im Herbst, zieht sie nach Deutschland, um zu bleiben. „Wenn man es versucht zu verstehen, begreift man es nicht“, sagt Lena.
Eine Freundin mit ihrem eineinhalbjährigen Kind kommt vorbei. Sie war damals mit in Venda, als es passierte. Wahnsinnig soll es gewesen sein. „Wie verrückt, ver-rückt“, aus der Spur, auf einer fremden Umlaufbahn. Ihr Sohn, der laufen kann, aber noch nicht sprechen, findet einen Ball in der Küche und stellt sich unter einen Basketballkorb, der auch hier an einer Wand hängt. Er streckt die Arme aus, werfen kann er noch nicht. Lenas Neunjähriger, ein scheuer Junge, hilft ihm. Auch Lenas Exmann taucht auf, er lebt nicht weit weg. Alle sitzen auf dem Boden der Küche. Eine Versammlung. Jeder nach seiner Fasson.
Mango
Adelaides und Lenas Geschichte ist einfach. Es geht um das, was möglich sein könnte und möglich ist. Hier. Dort. Nicht hier. Nicht dort. Nachdem sich die zwei Frauen gefunden haben, müssen sie sich finden, Examen anerkannt bekommen, Jobs suchen, noch unterstützen Lenas Eltern sie.
Im Supermarkt am Dorfeingang, zu dem Adelaide Banne sich aufgemacht hat, gibt es nur harte Avocado und grüne Mango. Auf dem Weg zeigt sie auf Häuser und menschenleere Straßen, sagt, „hier sind die Häuser groß und kein Mensch da. In Südafrika ist es umgekehrt.“ Und dann erzählt sie, dass sie manchmal, wenn sie mit Lenas Sohn durch die Weinberge zieht, von Leuten freundlich gefragt werde, ob sie sich verlaufen habe. „Sie wollen mir den richtigen Weg zeigen.“
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