: Brandenburg kreist sich ein
GEBIETSREFORM Die zweite rot-rote Landesregierung möchte die Verwaltung umkrempeln und Landkreise und Städte zusammenlegen
■ Flughafen: Rot-Rot will keine dritte Startbahn am Flughafen BER. Damit sind Kapazitätsprobleme vorprogrammiert. Konkrete Pläne zum Bau einer dritten Piste in Schönefeld gibt es zwar noch nicht, eine Volksinitiative hat aber bereits 16.500 Unterschriften gegen einen möglichen Ausbau gesammelt. Außerdem will sich die Koalition für die Nachtruhe der Anwohner einsetzen. Statt des am Veto des Berliner Senats gescheiterten Nachtflugverbots sollen hohe Gebühren Starts und Landungen in der Nacht erschweren.
■ Hochschulen: In die unterfinanzierten Hochschulen soll mehr Geld gepumpt werden. Von derzeit rund 310 Millionen Euro sollen die Ausgaben bis 2019 jährlich und kontinuierlich um 6 bis 7 Millionen Euro erhöht werden – insgesamt 100 Millionen Euro sollen zusätzlich bereitstehen.
■ Braunkohle: Die Koalition will in der Lausitz weiterbaggern. Der Tagebau Welzow-Süd soll wie geplant erweitert werden. Das Genehmigungsverfahren für den Tagebau Jänschwalde Nord wird von einer Entscheidung des Investors für den Neubau eines Kraftwerks abhängig gemacht.
■ Infrastruktur: Investitionen sind in Straßen (100 Millionen Euro), in Schulen, Kitas (80 Millionen Euro), Verkehrswege und Feuerwehr (35 Millionen Euro) sowie Freizeit- und Sporteinrichtungen (15 Millionen Euro) geplant.
■ Personal: In den nächsten fünf Jahren sollen 4.300 neue Lehrer eingestellt werden. 3.600 von ihnen sollen Kollegen ersetzen, die aus dem Dienst scheiden. Es sollen mehr Kita-Erzieher eingestellt und die Gruppengröße reduziert werden. Die Polizeistärke soll bis 2020 nicht unter 7.800 Beamte sinken.
VON MARCO ZSCHIECK
Das ging flott: Nur knapp vier Wochen nach der Landtagswahl in Brandenburg haben SPD und Linke ihren Koalitionsvertrag ausverhandelt. Für die Wiederauflage des rot-roten Bündnisses verspricht er etliche Wohltaten, die sich das Land dank üppiger Steuereinnahmen leisten kann. Doch es gibt Ärger: Die Koalitionäre möchten die Verwaltung umkrempeln und Landkreise und Städte zusammenlegen.
Nur noch 10 Kreise soll es künftig in Brandenburg geben statt 14 Landkreise und 4 kreisfreie Städte. Höchstens, wie Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Freitag bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags in Potsdam sagte. Wer genau mit wem fusionieren soll, steht noch nicht fest. Klar ist allerdings, dass möglichst alle neuen Kreise vom boomenden Speckgürtel um Berlin profitieren sollen. Die Reform soll bis 2019 abgeschlossen werden.
Hintergrund der Reform ist, dass die Jahre wachsender Bevölkerung im Land Brandenburg vorbei sind: Seit den 1990er Jahren hatten die Zuzüge in den prosperierenden Speckgürtel die Abwanderungsverluste in den Flächenkreise mehr als ausgeglichen. Doch nun macht sich auch dort die Alterung der Bevölkerung bemerkbar. Bis zum Jahr 2030 wird das Land Prognosen zufolge etwa eine Viertelmillion Einwohner verlieren – ein Zehntel der Bevölkerung. Dass die Kreise in Brandenburg in den nächsten Jahren neu zugeschnitten würden, war also zu erwarten. Schon vor mehr als einem Jahr hatte eine Enquetekommission des Landtags dazu Empfehlungen formuliert.
Gegenwind kommt vor allem aus den bisher kreisfreien Städten. Zur konstituierenden Sitzung des neu gewählten Landtages erschienen die Oberbürgermeister von Potsdam, Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) demonstrativ mit ihren Amtsketten um den Hals. Dietlind Tiemann, CDU-Oberbürgermeisterin in Brandenburg (Havel), fürchtet einen Verlust an Bürgernähe. Über die Verkehrsbetriebe, Gymnasien, Theater oder das Klinikum würde nach der Landkreisreform nicht mehr die Stadt, sondern ein neuer Großkreis entscheiden. Tiemann hatte zuvor schon die Annahmen der Enquetekommission in Zweifel gezogen. Die Einwohnerzahl in der früheren Stahlstadt werde nicht wie erwartet sinken.
Potsdam bliebe kreisfrei
Besonders überrascht war man auch in der Landeshauptstadt Potsdam. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hatte sogar seinen Besuch auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real abgesagt. Allerdings hätte Potsdam im Gegensatz zu den anderen drei kreisfreien Städten noch die besten Chancen, der Fusion zu entgehen. Der Schuldenstand ist vergleichsweise niedrig, und die Einwohnerzahl wird auch in den nächsten Jahren stabil wachsen.
Natürlich haben auch die von der SPD als Regierungspartner verschmähten Christdemokraten das Thema entdeckt: „Es darf in Brandenburg keine Zwangsfusionen von Landkreisen und kreisfreien Städten geben“, sagte Henryk Wichmann, kommunalpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion.
Vorreiter ist das Land Brandenburg mit seinen Reformplänen nicht. Die benachbarten Flächenländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben ihre Kreise in den letzten Jahren bereits vergrößert. Dass es besser ist, eine umfassende Verwaltungsreform gut zu planen, kann Woidke bei seinem Amtskollegen Erwin Sellering (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern erfahren. Dort war eine Kreisreform mit nur noch fünf Großkreisen im Jahr 2007 vor dem Landesverfassungsgericht gescheitert. Erst nach einer zweiten Runde war die abgespeckte Variante mit sechs Kreisen und zwei kreisfreien Städten durchgekommen.
Über den Koalitionsvertrag will die Linke in einem Mitgliederentscheid abstimmen. Danach sollen am 1. November die Parteitage entscheiden.
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