: Schule jetzt lernfähig
Die Hauptschule fällt – und das ausgerechnet in den konservativen, wohlhabenden Bundesländern. Erstaunlich ist das nicht: Die Wirtschaft braucht topqualifizierte Absolventen. Wird nun alles gut?
VON CHRISTIAN FÜLLER
Huch, so viel Bildungsreformen auf einmal, ist das nicht ein bisschen viel? In den Schulen haben die Lehrer die Nase längst voll. Gerade die Pauker können das Wort Reform nicht mehr hören, seit Pisa ihren Lehranstalten und Lernformen die Leviten gelesen hat. Nun kommt auch noch ein ominöser „Aktionsrat Bildung“, besetzt mit Professoren plus bayerischen (!) Arbeitgebern, und fordert auf 160 Seiten: radikale Entstaatlichung der Schule, Unterricht für Vierjährige, Abschaffung der Hauptschule und zig Milliarden Euro mehr – pro Jahr. Uff.
Okay, könnte man sagen, auch diese Karawane wird weiterziehen. Aber weit gefehlt. Ausgerechnet aus den konservativen Südstaaten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen werden nun praktische Maßnahmen ergriffen, die Hauptschule tatsächlich in den Orkus der Geschichte zu versenken. Die Herren nennen das – noch – Stärkung der Hauptschulen. Wer die Papiere liest, die in Hinterzimmern diskutiert werden, weiß: Die Konservativen geben keinen müden Cent mehr auf die Deppenschule. Sie halten sie nur noch rhetorisch hoch, um die eigenen Wähler nicht allzu forsch mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. In Wahrheit geht es woandershin.
Der Rektor einer Hauptschule schreibt im Janker in tadelloser Schönschrift Lernsätze an die Tafel, während seine zu 50 Prozent aus Einwandererkindern bestehende Schülerschaft ihm hinter seinem Rücken den Mittelfinger, bald auch die Faust zeigt. Diese Zeiten sind bald vorbei. Die Zukunft sieht so aus: Teams von Lehrern lernen mit ihrer gut gemischten Klientel in Projekten. Es wird keine Klassenzimmer mehr geben, sondern eine Landschaft des Lernens mit Computerecken, kleinen Bibliotheken und diversen Arbeitsräumen.
Die Hauptschule war einmal die Schulform für die Masse, die durch das duale Berufssystem das Erfolgsmodell des Facharbeiters erschuf. Dieses Modell funktionierte – in der Industriegesellschaft. Für die Wissensgesellschaft taugt es nicht mehr, allein schon weil jeder Arbeiter heute ein -troniker sein muss, sprich mit Computern umgehen muss.
Das alles zeichnete sich lange ab, in der alternden Gesellschaft wird es alternativlos. Das alte System konnten sich die Wohlstandshochburgen im Süden nur leisten, solange es genug Absolventen gab. Die aber gehen aus. 10 Prozent der Hauptschulen in Baden-Württemberg haben nur noch 80 Schüler. Nicht umsonst kam das radikalste Postpisapapier bereits vor vier Jahren vom Mittelstand im Ländle – weil die Handwerker im Südwesten nicht mehr genug fitte Lehrlinge fanden. Im Norden fiel das nicht weiter auf, da gibt es einfach nicht genug gute Jobs. Aber im Württembergischen, wo Global Player wie Daimler, Bosch und Porsche die besten Schulabsolventen suchen, wusste man früh: Wir brauchen mehr Abiturienten, und zwar vom Gymnasium, und andere, die über eine berufliche oder berufsqualifzierende Schiene kommen.
Genau das ist es, was nun in Wiesbaden, Stuttgart und München diskutiert wird. Und es ist eben kein Zufall, dass die Wohlstandsregion Hamburg, modern konservativ regiert, die Blaupause liefert: Dort wird neben das Traditionsgymnasium eine Kombischulform treten. Diese besteht aus beruflichem Gymnasium, Gesamtschule, Real- und Hauptschule. Sie bekommt den Namen „Stadtteilschule“, und dort wird man viele Abschlüsse erwerben – zum Beispiel: die Hochschulreife, das Abi.
Sind die elenden Schlachten um Gesamt- und Hauptschule also vorbei? Wird nun alles gut? Ja und nein. Die bayerischen Unternehmer und ihre gutachterlichen Professoren, darunter die federführenden Pisaforscher Manfred Prenzel und Wilfried Bos, setzen mit der Entstaatlichung, sprich Privatisierung gleich noch einen drauf. Dass deutsche Schulen zu 94 Prozent Lehranstalten sind, in denen Beamte hausen, die gerne mal Dienst nach Vorschrift schieben, das konnte man lange hinter der Debatte um die Schulstruktur verstecken.
Jetzt geht das nicht mehr. Die Beißreflexe gestern waren nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Sämtliche Lehrerverbände inklusive GEW setzten sich scharf von der Idee ab, den Schulen Autonomie zu geben, Geld selbst zu verwalten, ihre Lehrer selbst auszuwählen, ja und die schlechten – hört, hört! – zu entlassen.
„Privatisierung ist des Teufels“, schimpften die Lehrerlobbyisten, „und so ungerecht.“ Tja, die Show muss halt weitergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen