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Betriebsblinde Überwacher

Amtsgericht Barmbek verurteilt Sprayer „Oz“ zu fünf Monaten Haft wegen Sachbeschädigung. Teile der Anklage wegen fragwürdiger Ermittlungsmethoden fallengelassen, echte Verfahrensfehler aber erkennt das Gericht nicht

Walter F. alias „Oz“ ist gestern vom Amtsgericht Barmbek wegen Sachbeschädigung zu fünf Monaten Haft verurteilt worden. Genauso lange hatte seine zu Unrecht verbüßte Untersuchungshaft gedauert, sodass F. keine Entschädigung vom Staat erhalten wird. Nicht nur deswegen hat der Fall viele merkwürdige Facetten. Seinem Mandanten sei „übel mitgespielt worden“, hatte F.s Verteidiger Andreas Beuth zuvor in seinem Plädoyer gesagt und die Einstellung des Verfahrens verlangt: Es sei, so Beuth, „kein faires Verfahren“ möglich gewesen.

Der über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Sprayer war im Herbst 2006 ins Visier der Polizei geraten – einen Monat, nachdem er aus einer dreijährigen Haft gekommen war. Zunächst wollte ihn eine Streife zufällig erkannt und dabei beobachtet haben, wie er die Scheibe einer Sparkassenfiliale zerkratzte. F. bestreitet das. Obwohl sie ihn noch am „Tatort“ stellten, fanden die Beamten weder bei ihm noch in der Nähe irgendwelches Tatwerkzeug.

Daraufhin veranlasste die „Soko Graffiti“ eine aufwändige Observation: Zwölf FahnderInnen hefteten sich an seine Fersen und wollten „Oz“ bei vier weiteren Sachbeschädigungen beobachtet haben. Unverzüglich wurde Haftbefehl beantragt, der Sprayer landete im Knast.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es bei der Observation nicht darum ging, Sachbeschädigungen zu verhindern. Vielmehr war das eigentlich Ziel offenbar, F. schnell wieder hinter Gitter zu bringen. „Dies ist keine Prävention“, sagt Anwalt Beuth, „das ist Repression pur.“ Dazu gaukelte die Soko dem Haftrichter vor, dass F. keinen festen Wohnsitz habe und deshalb „Fluchtgefahr“ bestehe. Dabei bewohnte F. ein vom Sozialamt finanziertes Zimmer. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich der Beamte so geirrt hat“, sagt Beuth, der eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung erwägt.

Die vier Fälle, die durch die Observation in die Anklage gelangten, hat Staatsanwältin Dorothea Fellows fallengelassen, nachdem Richterin Birgit Valenta Zweifel daran äußerte, ob die Überwachung „in Ordnung war“. Eine Verurteilung indes sei gerechtfertigt. „Es hätte alles besser laufen können“, sagte Valenta, „doch schwerwiegende Verfahrensfehler sehe ich nicht.“ Und auch keine Freiheitsberaubung – eher, so Valenta, „Betriebsblindheit“. KAI VON APPEN.

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