piwik no script img

Nur in Anführungszeichen

„Normal“ ist das Thema der 30. Duisburger „Akzente“. Im Wilhelm Lehmbruck Museum wird es mit der Ausstellung „No norm – Out of order?“ von zwei KünstlerInnen allerdings nur illustriert

VON KATJA BEHRENS

Selbstverständlich ist die Frage danach, was „normal“ sei, eine wichtige und hochbrisante Frage. Die interessiert Kulturschaffende und Psychologen, Patienten, Politiker und Polizisten. Die möglichen Antworten sind aber vor allem selbst wieder Fragen: Welches sind die Definitionskriterien des Normalen? Wer sagt wem was normal ist? Und muss “normal“ nicht immer in Anführungszeichen stehen? Im Rahmen der 30. Duisburger „Akzente“ hat die Kuratorin Katharina B. Lepper für die Schau „No norm – Out of Order?“ im Lehmbruck Museum mit dem Thema „Normal“ zwei aktuelle künstlerische Positionen ausgewählt, die Norm und Normverletzung thematisieren wollen, unter dem Strich aber doch weitgehend gezähmte Illustrationen bleiben.

Vom Künstler wird der Regelbruch, die Verletzung einer Norm, ja die Provokation geradezu erwartet. Das macht seine besondere Stellung aus und gehört zu seiner Rolle. Spätestens seitdem im 19. Jahrhundert das Image des Künstlergenies mit dem am Rande der Gesellschaft tobenden Berserker oder dem in zurückgezogener Obsession arbeitenden Weltverneiner überblendet wird, sucht der moderne Ausstellungsbesucher an der Kunst die Irritation. Doch was früher Skandal und bestaunenswert war wird heute mit abgeklärter Gefasstheit betrachtet. Skandalös sind höchstens noch die Preise. So verkündet der Text in der Ausstellungszeitung die Motivation der Werke von Katharina Mayer und Shahryar Nashat sei „primär die Frage nach Sehgewohnheiten und deren In- Fragestellen“ – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dient doch die ganze Irritation und Erschütterung vor allem der Bestätigung eigener Normen. Mit den Umgruppierungen der Lehmbruck-Skulpturen lehnt sich der junge iranische Künstler Shahryar Nashat (Jahrgang 1975) ironisch gegen das geläufige und normierte Präsentationsformat der klassischen öffentlichen Sammlung auf. Sein Videofilm „The Regulating Line“ mag ein Kommentar des normierten Handelns in der Öffentlichkeit und unseres Umgehens mit Kulturgütern sein, ist damit doch aber auch ein geläufiges und „normales“ Sehnsuchtsmotiv: Sehnsucht nach ein bisschen Anarchie im bürgerlichen Leben – unverbindlich repräsentiert im Stellvertreter Kunst.

Obwohl die großen Fotografien der in Düsseldorf lebenden Künstlerin Katharina Mayer (geb. 1958) – technisch präzise, mit dem jeweiligen Namen als authentisch gekennzeichneten und doch erkennbar inszenierte Familienporträts – eine Realität außerhalb des Normalen zu spiegeln scheinen, bleiben auch sie meist ohne Nachhall. Zu offensichtlich ist ihr gebildeter Bezug auf die Ikonographie der Kunstgeschichte. Eine Ausnahme sind vielleicht das Bild „Puppenvater, Rottenburg a. d. Wümme“ (2005), dem mit der Ortsbezeichnung eine erschütternde pathologische Wirklichkeit zugeschrieben wird, und der Film „Rotation Urgeräusch, ein Film mit der Betenden von Wilhelm Lehmbruck“ (2007), der ein sich um die Skulptur drehendes blindes Mädchen zeigt. Die traurige Realität von Krankheit und Beschädigung und den durch das Raster „Normalität“ fallenden Menschen könnte ein wichtiger Impuls des diesjährigen Akzente-Themas sein. Schade nur, dass ein wirklich tiefer gehender soziologischer oder gesellschaftspolitischer Diskurs innerhalb des Museums und seiner Sponsoren abhängigen Eventkultur-Normalität kaum stattfinden kann.

Bis 22.7. 2007 Infos: 0203-2832630

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen