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Sicherheitsrat schafft erneut Präzedenzfall

Der neu geschaffene Internationale Strafgerichtshof ist für den Mord an Rafik Hariri nicht zuständig

Nürnberg und Tokio waren der Anfang der internationalen Strafgerichtsbarkeit

GENF taz ■ Mit der Untersuchung und strafrechtlichen Ahndung des Attentats auf den libanesischen Ex-Regierungschef Rafik Hariri und anderer tödlicher Anschläge soll sich das internationale Tribunal befassen, dessen Einsetzung der UNO-Sicherheitsrat auf Basis von Kapitel 7 der UNO-Charta beschlossen hat. Für einen derartigen Auftrag gibt es kein Vorbild in der Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit, die 1945/46 mit den von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges durchgeführten Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio begann.

Von diesen Tribunalen wurden Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen erstmals als Straftatbestände definiert. Zugleich bekundete die erste Vollversammlung der 1945 gegründeten UNO die Absicht, einen ständigen, global zuständigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) einzurichten.

Doch in der Zeit des Kalten Krieges scheiterte die Umsetzung dieser Absicht vor allem am Unwillen der Vetomächte des Sicherheitsrates, deren Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen in Asien, Afrika und Lateinamerika in dieser Phase (z. B. der USA in Vietnam, der Sowjetunion in Afghanistan oder Frankreichs in Algerien) damit straflos blieben. Erst als derartige Verbrechen ab 1991 im ehemaligen Jugoslawien und damit mitten in Europa stattfanden, schuf der Sicherheitsrat 1993 ebenfalls auf Grundlage von Kapitel 7 der UNO-Charta das „Internationale Tribunal über die Kriegsverbrechen in Jugoslawien“ mit Sitz in Den Haag und nach dem Völkermord in Ruanda Anfang 1994 ein entsprechendes Tribunal in Arusha (Tansania).

1998 beschlossen 122 der 192 UNO-Staaten schließlich die Einrichtung eines Strafgerichtshofs. Seit Inkrafttreten des IStGH-Statuts am 1. Juli 2002 hat der Chefankläger des Gerichts unter anderem Verfahren zu derartigen Verbrechen im Kongo und in Sudan/Darfur eingeleitet. Die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen aus der Zeit vor Juli 2002 ist weiterhin nur möglich durch nationale Gerichte oder durch von der UNO eigens eingesetzte internationale Sondertribunale. Eine Mischform ist das inzwischen auf Beschluss der UNO-Vollversammlung etablierte Tribunal zur Untersuchung des Völkermordes in Kambodscha (1975–79). Es ist mehrheitlich mit kambodschanischen RichterInnen besetzt. Im Fall des Irak verhinderten die USA im Sicherheitsrat nach dem Krieg 2003 die Einsetzung eines internationalen Tribunals zur Aufklärung der Verbrechen unter der Diktatur Saddam Husseins seit 1979.

Die Aufklärung und Ahndung der Ermordung von Hariri konnte nicht dem IStGH übertragen werden, weil er laut Statut nur zuständig ist für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. ANDREAS ZUMACH

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